Es gibt kaum einen Bereich für die Kommunikation mit den Kunden, der so massenwirksam und preiswert ist, wie eine Internetpräsenz. Nahezu jedes Unternehmen, egal ob multinational oder mittelständisch, ist im WorldWideWeb vertreten. Doch während eine Corporate Identity vielerorts zum guten Ton gehört, Farbe und Logo fröhlich von allen Angestellten auf die korrekte Widergabe überprüft wird, so ist die inhaltliche Präsentation der Firma auf Internetseiten wie „Über uns“ oder „Das Unternehmen“ mehr als austauschbar.
Unternehmensleitbilder ohne Aussage
In einer Stichprobenuntersuchung der Markensoziologen vom Büro für Markenentwicklung in Hamburg stellte sich heraus, dass die Formulierungen und Charakterisierungen sich in 80% aller Fälle ähneln. Typische Formulierungen: „Bei uns steht der Kunde im Mittelpunkt“ bzw. „Die Wünsche unserer Kunden stehen bei uns an erster Stelle“/wahlweise: „im Fokus unseres Handelns“ – nahezu jedes zweite Unternehmen nutzt diese Aussagen, wenn es darum geht, das typische Handeln zu verdeutlichen und potentielle Kunden zu gewinnen. Ähnlich beliebt sind in der Selbstbeschreibung folgende Begrifflichkeiten: Qualität, Kompetenz, Leistung, Innovation, Modernität und Tradition. Gerne werden die Eigenschaften miteinander zu Leitsprüchen kombiniert: „Innovation aus Tradition“ oder „Qualität durch Kompetenz“, sind semantische Renner, die soviel Originalität für sich beanspruchen können, wie das Formular der Lohnsteuererklärung.
Die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Formulierungen erweist sich als genauso harmloses Geplänkel: „Die Vielfalt unserer Mitarbeiter und Geschäftsfelder macht uns in der Zusammenarbeit erfolgreich“ oder einfach „Unser Erfolg beruht auf dem Engagement unserer Mitarbeiter“. Aber damit klingen die Aussagen zumindest exakt so, wie sie auch von vielen Mitarbeitern empfunden werden.
Das eine Vielzahl von Unternehmen an einer entscheidenden Schnittstelle ihrer Kundenkommunikation dermaßen beliebig auftritt, ist erstaunlich. Die Folge ist dramatisch: Unternehmensleitbilder haben für viele Unternehmen keine Funktion, sie sind allenfalls ein „Must-have“.
Extern und intern haben Aussagen wie „Qualität“ oder „Kompetenz“ keinerlei Wert. Sie können nicht als Richtschnur fungieren, weil sie interpretationsoffen sind. Jeder Mensch versteht etwas anderes unter „Qualität“. Qualität ist für einen Textilienhersteller etwas anderes als für einen Schnellimbiss oder einen Schraubenfabrikanten. Die Vorstellungen von „Kompetenz“ sind kulturell bedingt in den USA andere, als in Deutschland, Frankreich oder China.
Die beliebigen Selbstbeschreibungen sind eine Folge des (Marketing-)Wunsches, allem und allen gerecht zu werden. Die Sache hat einen Haken: Wer alles sein will, ist überhaupt nichts. Das Unternehmen manövriert sich in eine eloquent klingende, aber soziologisch und psychologisch völlig energiefreie Zone.
Abstrakt bringt nichts
Unabhängig von der Strukturschwäche solcher Schlagworte wie „Verantwortung“ oder „Effizienz“ beinhalten sie ein kommunikatives Problem: Menschen können sich abstrakte Begriffe nicht merken. Niemand denkt oder unterhält sich oder auf diese Weise. Menschen leiten nur von konkreten Sachverhalten und Erfahrungen ein abstraktes Urteil ab. Ein Beispiel: Aus der Tatsache, dass Jürgen Klinsmann in seiner aktiven Zeit als Fußballer (einige wenige Male) zum Training mit einem VW-Käfer Cabriolet fuhr – statt branchenkonformer Porsches oder BMWs – leiten viele Menschen bis heute ab, der Mensch Klinsmann sei ein Individualist. Ein Beispiel aus der Unternehmenswelt: Es ist eine Sache zu behaupten, ein Allradantrieb sei etwas Sinnvolles – es wird erst einprägsam, faszinierend und erzählbar, wenn ein AUDI eine schneebedeckte Skisprungschanze hinauffährt. Der Meerrettich-Hersteller Schamel aus Baiersdorf begrüßt die Besucher seiner Website mit der Aussage „Herzlich Willkommen bei der ältesten Meerettich-Marke der Welt! Seit 1846.“ Es ist jedem sofort klar, dass es sich hier um ein traditionsreiches Unternehmen handelt – konkrete Ursachen bedingen abstrakte Wirkungen. Man stelle sich vor, ein Außendienstmitarbeiter darf bei der Akquise ausschließlich mit Allgemeinplätzen wie „Qualität“, „Tradition“ oder „Flexibilität“ argumentieren. Dies würde nicht funktionieren: Überzeugung gelingt ausschließlich durch Fakten.
Marke ist Bekenntnis
Unternehmenspräsentationen erfüllen ihre Funktion erst, wenn mit einem Namen konkrete und überprüfbare Leistungen verbunden sind. Statt Worthülsen muss ein Unternehmen benennen, was es im Tagesgeschäft vollbringt. Wird dies umgangen, so kann der Besucher nur mutmaßen, dass es nichts Spezifisches anbietet oder aber, dass es darüber nicht informieren will. Das Unternehmen bezahlt für seine Austausch-Präsentation doppelt: Zum einen für die Arbeitszeit der beteiligten Personen, zum anderen für die Schwächung der Marke und der eigenen Überzeugungsleistung. Die Aufgabe liegt nicht in der verbreiteten Auffassung möglichst alles in eine Selbstdarstellung zu integrieren, sondern für etwas Konkretes einzustehen! Warum? Weil Marke das Besondere ist. Bis dies nicht berücksichtigt ist, lohnt sich der Blick auf die „Wir über uns“-Seiten meist nicht.
Nachtrag (Juni 2016):
Ein Aspekt ist neben den oben ausgeführten Überlegungen für den Bereich der Markenpräsenz im Internet auch von großer Relevanz: Die inhaltliche Differenzierung ist umso entscheidender für den Markenauftritt, weil auf der designarisch-grafischen Ebene der Internetpräsenz immer stärkere Angleichungstendenzen zu beobachten sind. Zwar bieten zahlreiche Anbieter die Möglichkeit an, eigene Internetpräsenz relativ leicht selbst zu designen, aber auch dort läuft die Gestaltung im Rahmen “standardisierter” Vorlagen ab. Die “große Freiheit der Gestaltung” wird zwar postuliert, aber de facto kaum eingelöst bzw. von den Usern aufgegriffen. Im Ergebnis lässt sich beobachten, dass sich Websites auch gestalterisch immer weiter angleichen … heutzutage sind tlw. nicht einmal große Unternehmen von kleinen Unternehmen hinsichtlich ihres Webauftritts unterscheidbar, weil die “Flexibilität” und “Innovationsfreudigkeit” der Kleinen von den großen Anbietern aufgegriffen wird, um selbst in einem innovativeren Licht zu erscheinen … denn das Internet ist der einzige Bereich, wo die erwünschte Veränderung kaum reale Veränderungen des Unternehmen mit sich ziehen muss …