Die Marke ist die Mutter der Wirtschaft. Sie begann ihr hilfreiches Leben in den entstehenden Städten, ist also schon einige tausend Jahre alt. Stadtluft macht frei hieß es im Mittelalter und die Freiheit lockte. Aber mit der Bewegungs- und Gedankenfreiheit entstand auch das Leben unter und mit Fremden. Was früher zwischen sich mehr oder weniger Vertrauten getauscht wurde, musste nun gekauft werden.
Dinge und Dienste, die auf dem Lande seit Generationen das gewohnte Leben sicherten, mussten nun für neue Lebenssituationen erfunden und hergestellt werden. Eine beispiellose Schöpferfreude belebte sie Städter. Das fing an mit dem eigenen Namen: War man im Dorf der allen bekannte Hanssohn, musste man sich nun als Hans und weil man Schuhe herstellte, als Hans Schuster der urbanen Welt präsentieren und mittels der eigens hergestellten Leistungen seine Familie ernähren. Eine hochaktive Kultur der erfindungsreichen Gestaltung musste erdacht werden. Ließ der Bauer es wachsen, musste der Kaufmann es ersinnen. Und was wusste man von dem, der einem die Lebensmittel und vielen notwendigen Kleinigkeiten anbot? Wenig oder gar nichts.
Die Verpackung als stimmiger Schmuck
Unter diesen erzeugten Bedingungen verlängerten sich die Transportwege in der Stadt und zwischen ihnen. Gab es auch früher viele Handwerke, die Dosen und Döschen, Kübel und Kannen herstellten, um Lebensmittel zu schützen, verfeinerten sich die Verpackungen. Immer vielfältiger wurden die Materialien, immer praktikabler die Lösungen, die für Aufbewahrung und ferne Kunden erfunden wurden. Die zunehmende Miniaturisierung der verkauften Portionen verlangte immer detailliertere Behältnisse. Zum Schützen kam das Schmücken. Die Kunden wollten es schön haben und die Pfiffigen ersannen immer verwendungsadäquatere Verpackungen. Auch kostbarer konnten sie werden, die Beutel und Kästen. Die Händler griffen das Angebot gerne auf und veredelten ihre Waren auf diese Weis auch ästhetisch.
Die Verpackung als Wertschöpfungsstufe
Der schmückende Schutz wurde selber eine Stufe auf der Wertschöpfungstreppe. Das Praktische sollte ins Stimmige passen. Die großen Könner schufen die gewaltigen Kathedralen, die prächtigen Klöster und Schlösser. Die Könner im Kleinen schufen das Schöne im Alltag. Eine kulturelle Breitenwirkung setzte ein, die in die Haushaltungen und Privatstuben hineinwirkte; mit einem bedeutenden Effekt: die Menschen freuten sich am Schönen und diese Freude veredelte, denn schöne Dinge machen schöne Menschen. Wovon bereits die Zeichnungen auf den griechischen Amphoren ein eindrucksvolles Beispiel geben. Entwickeltes Formempfinden hat heute viele Tätigkeiten des Designs hervorgebracht. Einfallsreiche künstlerisch begabte Menschen erschaffen Verpackungen, die das Praktische auf schöne Weise vollenden.
Erst die Leistung schafft Marke
Der Weg vom Oikos, der altgriechischen Hauswirtschaft zur weltwirtschaftlichen Ökonomie war ein Weg steter Entfaltung auch der funktionalen Verhüllung. Die Gestaltungsvielfalt ist dabei kein freies Künstlertum. Sie ist gebundene Freiheit, denn das kompositorisch Schöne soll das Praktische unterstützen. Der Spruch vom “Nicht schön, aber praktisch” sollte zur Aufgabenstellung werden: Das Praktische mittels des Schönen noch durchsetzungsfähiger machen. Auf diese Weise wird der Ware zusätzliche Kraft zugeführt, Bindungskraft – denn Nichts bindet uns doch so wie Schönes. Die Verpackung gehört heute zur Leistung und kann deren Wertigkeit fördern; wenn sie denn nicht täuscht. Unerbittlich wird die Verlässlichkeit des Hauses gesucht, so können wir mit Fug und Recht sagen: dies Haus ist die Marke. Als Hüterin der Wirtschaft steht dies Haus im Zentrum modernen Gemeinwesens. Es zu bauen ist nicht einfach. Ein solch kultureller Leistungskörper entsteht nur in dem Maße, in dem Menschen gemeinsam spezifische Leistungen erschaffen, sie sorgfältig auf einander abstimmen und sie dem Markt als Einheit, als schöne Einheit präsentieren inkl. Verpackung. Denn das kaufmännisch Ertragreichste war es schon immer, das Praktische zur Komponente des Schönen zu machen. Eine enorme Kulturleistung der Markenentwicklung in der Marktwirtschaft.
Von Prof. Dr. Alexander Deichsel
(Universität Hamburg, Wissenschaftlicher Associate des Büro für Markenentwicklung)
Das Thema “Wertschöpfung ist Leistungsverdichtung” findet sich in zahlreichen Publikationen von Prof. Dr. Alexander Deichsel. Seine grundsätzlichen Überlegungen sind in der “Markensoziologie” ausgeführt, die erstmals 2004 und 2006 in 2. Auflage erschien. Das Büro für Markenentwicklung hat gemeinsam mit Alexander Deichsel eine dritte, vollständig überarbeitete Ausgabe im Jahr 2017 publiziert.