Keine Frage: Das Thema „Nachhaltigkeit“, „Green Branding“ oder „Grüne Markenführung“ ist seit vielen Jahren en vogue. Kongresse und Buchtitel greifen den „verantwortungsvollen Konsum“ kontinuierlich auf und geben immer feinere Antworten auf vermeintlich „neues“ Kundenverhalten.
Lohas geistern nun seit fast zwanzig Jahren durch die Diskussionen. Man mag meinen, dass die Menschheit zunehmend vernünftiger wird und ihren Lebensstandard nicht (mehr) auf dem Rücken der künftigen Generationen sicherstellt. Das Problem: Eine aufklärerische (und gut gemeinte) mediale Berichterstattung vernebelt die wahre Bedeutung und Relevanz des „grünen Konsums“.
Zu den Fakten:
- Im Bereich Lebensmittel: Der Anteil von Bioprodukten am Lebensmittelgesamtumsatz (Stand 2012) in Deutschland 3,8 %.
- Im Bereich Textilien: Nach einer GfK-Studie liegt der Anteil zertifizierter Mode am Umsatz des Textilgesamtmarktes 2013 bei ca. 3,2 %.
- Im Bereich Finanzen: 0,3 % des insgesamt eingesetzten Volumens von Investmentfonds gilt als „ethisch ausgerichtet“.
Ein kleines Detail am Rande: Der in seinem Umfang schwer zu überbietende Vertrauensbruch, den die Marke VW gegenüber eigener Kundschaft und Gesamtöffentlichkeit mit der Manipulation von Abgaswerten vollzog, führte in der Folge nicht(!) zu einem Einbruch der Verkäufe: Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 685.669 VW-Neuwagen zugelassen – dies entsprach einem Plus von 4,4 %. Selbst auf dem Höhepunkt des VW-Skandals im Dezember 2015 stieg die Zahl der VW-Neuzulassungen um 2,5 %.
Wie ist der Unterschied zwischen medialer Präsenz und realer wirtschaftlicher Bedeutung zu erklären? Medien argumentieren per se immer ethisch. Ethik bedeutet, das “Vernünftige” in den Fokus seines Handels zu rücken. Ethik ist immer die Ethik der Menschheit, sozusagen der kategorische Imperativ als Gruppenbild. Wir alle wissen allerdings auch, dass wir eher selten ethisch handeln, sondern oft unseren eigenen Vorteil suchen. Gerade weil wir aber wissen, dass es “ethisch” besser wäre, argumentieren wir bei Marktuntersuchungen zutiefst ethisch … und handeln dann aber meist genau gegenteilig. Hinzukommt: Weil für Medien nichts “uninteressanter” ist, als das “normale Leben” spielen Sachverhalte fernab der Norm eine viel prominentere Rolle als der Alltag … kein Wunder also, dass eine grüne Lebenshaltung viel wichtiger erscheint als sie faktisch ist. Zeitweise konnte man daher um 2015 glauben, dass sich ganz Deutschland nur noch vegan ernährt, obwohl es in der Wirklichkeit gerade einmal 1 % der Bevölkerung betraf … eine Splittergruppe.
Was bedeutet dies für die Markenführung?
Heutzutage gilt “grün” als sog. „Hygienefaktor“ in den Führungskreisen vieler Unternehmen. Nachhaltiges Handeln wird als gegeben vorausgesetzt – eine Nichtbeachtung könnte zu nicht-kalkulierbaren Risiken führen (Skandale, Rufverlust). Vor diesem Hintergrund wurde tatsächlich etwas im Handeln der Unternehmen erreicht. Aber auch in diesem Feld ist es wichtig, mit dem ein-oder-anderen Mythos aufzuräumen: Selbst die größten Vertrauensbrüche und Skandale müssen nicht zwangsläufig zu einem Zusammenbruch des Unternehmens führen: Dass Apple-Produkte nicht unter fairen Bedingungen in zwielichtigen chinesischen Fabriken hergestellt werden, ist gerade den aufgeklärten “It-Usern” dieser Marke bekannt. Konsequenzen: Keine. Dass amazon seine Lagerarbeiter nicht einmal nach dem gültigen Lagertarif bezahlt, sondern fadenscheinig die Tarife der Logistiker heranzieht, wird monatlich in der Tagesschau berichtet … massive Umsatzeinbrüche? Nicht feststellbar. Deutlich formuliert: Es wird grün gedacht, aber selten grün gehandelt.
Wie lässt sich diese Erfahrung für die Markenentwicklung einsetzen?
Wenn die großer Ernüchterung einsetzt, muss klar werden, dass starke grüne Marken ihren Erfolg kaum ihren grünen Verhaltenskodex verdanken, vielmehr sind derartige Unternehmen langfristig erfolgreich, weil sie in ihrem Bereich etwas spezifisches leisten, also Marke sind. One Weleda, Frosch oder armedangels … am Ende sind diese Unternehmen nicht nur vorbildlich in Bezug auf ökologisch und soziale Standards, sondern ihre Produkte charakterisiert besondere Leistungsattribute. Marke bedeutet in seinem Aktionsfeld die Welt in einer besonderen Form zu interpretieren. Dabei muss es nicht um eine revolutionäre Neuerfindung einer Produktkategorie gehen, sondern manchmal sind es kleine Details, die ein Unternehmen von anderen unterscheidet, bspw. ein sehr schneller Lieferservice oder besonders ausgebildete Verkäufer. Es muss klar sein, dass die Fokussierung auf das Thema “grün” allein, die Gefahr beinhaltet, sich in hochkompetitiven Verdrängungsmärkten paradoxerweise vergleichbar zu machen. Denn “grün” kann jeder sein; wenn es aber jeder für sich postuliert, geht das verloren, was die Marke zur Marke macht: Ihre leistungsbasierte Einzigartigkeit. Gut sichtbar ist dies heutzutage an den üblichen Labels und Zertifizierungen: Wenn alle die gleichen Logos abdrucken, dann ist die Bedeutung nur noch eine Nullaussage.
Den Genetischen Code der Marke kennen und einsetzen
Stattdessen geht es wieder darum herauszuarbeiten, was die Marke in ihrer Leistungsstruktur charakterisiert und diese Aspekte gezielt (und kreativ) nach vorne zu bringen. Sofern diese Attribute als “grün” gelten, desto konkreter kann sich die Marke vom Wettbewerb differenzieren.
Ebenso wichtig: Gerade bei größeren Unternehmen ist zu beobachten, dass das Thema “Nachhaltigkeit” in die Kommunikation aufgenommen wird (“Das erwartet die Kundschaft.”). Die Problematik: Manchmal hat das Thema “grün” keine Relevanz für die Kaufentscheidung der Kundschaft, weil in der Vergangenheit die Stärken der Marke in anderen Feldern lagen … dann erfordert es besonderen Mut diese Thematik (zumindest für die Kommunikation) auszusparen. Die Frage ist jedoch allein individuell beantwortbar und geht auf den Genetischen Code der jeweiligen Marke zurück.
Grundsätzlich gilt: Grüne Markenführung heißt immer Leistungsmanagement im Sinne einer klaren Verdeutlichung der individuellen Markenattribute und kein “Mitschwingen” mit einem gleichmachenden Zeitgeist.
In dem Buch Grüne Markenführung räumen die Autoren Dr. Oliver Errichiello und Dr. Arnd Zschiesche vom Büro für Markenentwicklung in Hamburg schonungslos mit den Mythen der “grünen Branche” auf. Ihre These: Ein schlechtes Gewissen allein ist noch kein funktionierendes Geschäftsmodell. Stattdessen müssen sich grüne Unternehmen darauf besinnen, ihre Leistungen in den Fokus zu rücken. Ansonsten droht Gefahr, denn “grün” und “Nachhaltigkeit” allein sind heute kein Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb mehr.