Anlässlich der Jahresversammlung der Deutschen Gütegemeinschaft erklärte Bernd M. Michael:
“Bei rund 50.000 Marken in Deutschland und einem durchschnittlichen Wortschatz von 3.000 Wörtern sei es nicht verwunderlich, dass Verbraucher eher verwirrt werden und keine Orientierungshilfe erhalten. Wenn zudem die große Mehrzahl der Produkte – beispielsweise von der Stiftung Warentest – als gut bewertet werden, fällt die Entscheidung des Verbrauchers zwangsläufig über den Preis. Dieses Dilemma, so Bernd M. Michael, könne nur dadurch gelöst werden, dass Produkte künftig “gefeiert” werden; die Qualität der Verarbeitung müsse deutlich in den Vordergrund treten. Außerdem sei die Wertigkeit auch bei niedrigen Preisen zu betonen. Hochglanz-Prospekte von ALDI in edelstem Design sowie Lagerfeld-Kollektionen bei H&M sind hier markante Beispiele.”
(Zitiert aus: Möbelmarkt 12/2008; Seite 49)
Der Markensoziologe wundert sich, wenn er diese Empfehlungen liest. Sicher: Marke entsteht über Kenntnis, d.h. über die leistungsernste Kommunikation resonanzstarker Merkmale eines Produktes, aber passen ALDI und edle Hochglanzoptik zusammen? Koppelt sich eine derartige Werbung nicht von den “Positiven Vorurteilen” der Kundschaft ab? Kann eine Marke sich an vermeintlichen “Marketing-Trends” orientieren?
Marke lebt nicht (ausschließlich) über die gestreute Werbebotschaft, sondern meist über die ungesagten und unterschwelligen Details die an ihren Berührungspunkten mit der Kundschaft erfahrbar werden. Was würde passieren, wenn im Penny-Discounter plötzlich edle Holzregale anstatt aufgerissener Pappkartons zu finden wären? Was geschieht, wenn die Flugbegleiter des low-cost carriers Ryanair plötzlich feine Kostüme und teuerste Anzüge anstatt Kittelschürzen tragen würden? Was wäre, wenn bei H&M die Kunden keine Menschenschlangen mehr an den Kassen vorfinden würden? Wahrscheinlich wären wir als individuelle Kunden sehr froh: Ein Penny wäre plötzlich “schöner”, eine Ryanair irgendwie freundlicher und ein H&M-Einkauf entspannend …, aber: Es würde nicht mit den kollektiven Erfahrungen zusammenpassen, die mit einem preiswerten Anbieter korrespondieren. Kein Mensch würde ernsthaft vermuten, dass diese Marken, die grundsätzlich immer als preiswert galten, weiterhin das sind, was sie sind. Sie würden sich nicht “treu” sein. Treue zum eigenen Wesensgehalt (zum genetischen Code der Marke) ist allerdings konstituierend für Marken.
In diesem Sinne muss jede Form der Inszenierung und Markenberatung von der Leistungsgeschichte des Unternehmens ausgehen – hier sind die Möglichkeiten, aber auch Grenzen des Auftritts definiert. Beachtet man sie nicht, so läuft das Management Gefahr, die Markenkraft ernsthaft zu schädigen. Gerade ALDI profitiert von einem sachlich, nahezu “notariell” anmutenden Werbeauftritt. ALDI wirbt nicht, sondern “ALDI infomiert” (siehe Anzeigenwerbung bzw. Prospekte) … hier wird nichts beworben, sondern der “mündige und rationale Käufer” unterrichtet – denn die Produkte sind vermeintlich so gut, dass sie keine Scheinwelten aufbauen müssen.
Diese seit Jahrzehnten gepflegte Stilistik ist ein Grund für die kollektive Wahrnehmung “ALDI ist billig und trotzdem gut”. Verordnet sich ALDI nunmehr einen “hochglänzenden” Auftritt, dann gefährdet die Marke ein entscheidendes eigenes Wesensmerkmal. Die Markenerfolgsgeschichte gibt stets den Handlungskorridor vor … ihn zu missachten, wäre fahrlässig. Promis und Luxus sind nichts für ALDI – auch wenn wir es im Sinne der Ästhetik persönlich begrüßen würden. Umgekehrt wird die Absurdität noch deutlicher: Schlagen Sie der Firma Lacoste mal vor, angesichts der Rezession die klassischen Polo-Hemden der Marke weltweit für solidarische 29 Euro “abzugeben und angesichts der ökologischen Probleme die Kataloge auf Umweltpapier zu drucken”, was wäre die Reaktion?