Warum gutes Markenmanagement “nur” Vertrauensmanagement bedeutet

Ob Eckkneipe, Globalkonzern oder regionale Baumarktkette: Jede Marke der Welt funktioniert erst ab dem Moment, wo ein gewisser Vertrauensvorschuss in ihre individuelle Leistung existiert: Ab dem Moment, wo es eine regelmäßig zahlende Kundschaft gibt, die ein Vor-Vertrauen in dieses Gartencenter oder jenen Supermarkt besitzt und aus genau diesem Grund den Ort häufiger aufsucht, um dort einzukaufen (Zur Vertiefung: “Was ist der Sinn von Marke?”). Das schöne deutsche Wort Vertrauen beinhaltet Hinweise, wie das Prinzip dahinter funktioniert: „Vertrauen“ ist nicht taufrisch aus der Wortpresse gefallen, an dem Punkt sind sich Wikipedia und sämtliche anderen Quellen einig:

„Vertrauen“ ist als Wort seit dem 16. Jahrhundert bekannt (althochdeutsch: fertruen, mittelhochdeutsch: vertruwen) und geht auf das gotische trauan zurück. Das Wort „trauen“ gehört zu der Wortgruppe um „treu“ = „stark, fest, dick“. Im Griechischen steht dafür πίστις (pistis) („Glaube“), im Lateinischen fiducia („Selbstvertrauen“) oder fides („Treue“). So steht im antiken und mittelalterlichen Gebrauch Vertrauen im Spannungsfeld von Treue und Glauben (z. B. bei Demokrit, der fordert, nicht allen, sondern nur den Bewährten zu vertrauen). Für Thomas von Aquin ist Vertrauen durch Erfahrung bekräftigte Hoffnung auf Erfüllung von erwarteten Zuständen unter der Prämisse des Vertrauens auf Gott. 

Quelle: Wikipedia

Vertrauen: mehr als ein sozialer Hygienefaktor

Einige Quellen datieren die Wortexistenz bereits auf das 15. Jahrhundert. Eventuell ist daher das Wort nicht sexy – zumindest, was den Anspruch an Jugendlichkeit angeht. Jedenfalls nicht annähernd so sexy wie „Digitalstrategie“, „Industrie 4.0“ oder „Disruption“. Noch besser sind die nur für echte Profis holperfrei auszusprechenden, englischen Must-have-Management-Buzzwords wie „Digital Transformation“ und „Globalization“. Oder, momentan in Konzernen existenziell wichtig: „Big Data“, „Blockchain“ und „Disruption“ (jetzt in englischer Aussprache!). Nicht erst seit Greta T. und Fridays for Future (FFF) ist auch „Nachhaltigkeit“ bzw. „Sustainability“ als Schlagwort nicht mehr wegzudenken – leider oft nur als abstrakter „Hygiene-Faktor“ zum lässigen Abhaken im Konzern-Geschäftsbericht.

Apropos neudeutsche Begriffe und alteingesessene Konzerne: Das Wort Vertrauen, „established already in the 16th century“, bezahlt keine „Influencer“, um mehr „Awareness“ zu erhalten (ehedem: Aufmerksamkeit) – und weniger alt, pardon „outdated“ zu wirken. Es weckt als Wort für sich nur wenig „Emotions“. Dafür ist es – im Gegensatz zu allen anderen genannten Begrifflichkeiten – in öffentlichen Ansprachen wie privaten Diskussionen eines der mit Abstand meistverwendeten Worte. Ein Wort-Evergreen, der seit Ewigkeiten zum Redeprogramm jedes gewieft staatstragenden Stimmenfängers oder firmentragenden Außendienstlers gehört.

Vertrauen hilft, wenn keine Worthülse es mehr tut

Aber vor allem ist das Wort Vertrauen, im Gegensatz zu den vorweg genannten „State of the Art“-Schlagworten, eines, welches immer dann inhaltlich (!) und äußerst konkret relevant wird, wenn keine Worthülse mehr weiterhilft. Wenn alle hübschen Verbalblumen nicht fruchteten, wenn es anstrengend wird. Daher fallen große politische Entscheidungen nie bei der offiziellen Abstimmung, sondern zuvor in Hinterzimmergesprächen. Und deswegen kommen diese Fragestellungen in jeder persönlichen wie gesellschaftlichen Krise so stark und schwer zum Tragen: Wem kann ich vertrauen? Wem kann ich mich anvertrauen?

Okay. Verstanden. Aber was genau macht den Begriff inhaltlich so besonders und relevant, dass er das begehrteste Gut eines Unternehmens sein soll? Der Begriff verlangt etwas – wenn er denn mehr als eine schöne Worthülse sein soll –, dass im Tagesgeschäft zunehmend auf der Strecke bleibt zwischen Digitalhype und brutal gesteigerten Techniktempo. Etwas, was eben nicht an der Oberfläche wirkt und in Abverkaufszahlen sofort sichtbar ist: einen sehr simplen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, den viele Menschen in verantwortlichen Positionen aus den Augen verloren oder unter Kostendruck schlicht vergessen haben.

Vertrauen benötigt Vorlauf

Vertrauen entsteht als Wirkung aus einer Reihe von in sich konsistenten Handlungen, die vorab stattgefunden haben. Es entsteht nicht im luftleeren Raum und kann selbst im 21. Jahrhundert noch immer nicht befohlen oder herbeigeredet werden. Gerade dann, wenn ein uns Unbekannter besonders vehement um unser Vertrauen bittet, spüren wir meist instinktiv, dass da irgendetwas nicht stimmt – Vertrauen steht nämlich immer am Ende einer Kausalkette. Vertrauen erwächst erst in uns, wenn ein Mensch oder eben ein Unternehmen über die Zeit bewiesen hat, dass die von uns mit ihm verbundenen Eigenschaften stetig und in gleichbleibender Art und Weise erbracht werden. Die folgende Gleichung ist daher durch nichts zu ersetzen:

Vertrauen verlangt Extravagantes: Zeit

Ein gesamtstrukturelles Problem, auf welches Vertrauen nicht erst im aktuellen Jahrhundert trifft, ist die Tatsache, dass Vertrauensaufbau eine Zutat benötigt, die in einer Zeit, in der es – zumindest in der Welt der Industrienationen – nahezu alles überall und immer gibt, gern als absolute Mangelware deklariert wird: Zeit. So wie schon Rom nicht über Nacht aufgebaut wurde, so ergeht es dem Vertrauen. Mittlerweile können Häuser, Autos, Blumenerde, Impfstoffe deutlich schneller und effizienter als früher gebaut, entwickelt, geliefert und genutzt werden. Vermutlich bringt in absehbarer Zeit eine Amazon-Drohne unsere Bestellungen bereits im Stundentakt ans Fenster oder legt sie auf Wunsch inklusive individualisierter Grußkarte auf dem Balkon oder im Garten ab. Aber auch da wird es um Vertrauen gehen…

Vertrauen als soziales Naturphänomen

Nur zwei störrische Dinge wie die Natur und das soziale Naturphänomen Vertrauen haben sich in ihren Wachstumsphasen nicht den Erfordernissen der Zeit angepasst oder zumindest untergeordnet: Die alte Eiche wächst weiterhin nur wenige Millimeter pro Jahr (die jüngere schneller) und auch Vertrauen erweist sich immer noch als sperrig im zwischenmenschlichen Umgang. Für Pflanzen gibt es heute einige künstliche Wunder-Düngemittel, für Menschen und Marken (oder beides in einer Person) gibt es PR-Agenturen und eloquente Berater. Aber dennoch: Das zarte Sozialpflänzchen will oft nicht so schnell wachsen, wie es sich der Politiker für seine bevorstehende Wahl oder die Firma für ihren nächsten Produktlaunch wünscht.

Vertrautheit erweist sich weiterhin als unumgängliche Vorbedingung für die Entstehung von Vertrauen. Es ist dem modernen Menschen bis heute nicht beizubringen, einer Sache zu vertrauen, die ihm nicht vertraut erscheint. Daher gilt für jede seriöse Unternehmung: “Machen Sie Vertrauen”. Es lohnt sich (mehr als jeder Influenzer).

Vertrauen – die härteste Währung der Welt, GABAL Verlag, Offenbach, 2021.

Erhältlich ab jetzt bei GABAL und in jeder Buchhandlung: Vertrauen. Die härteste Währung der Welt. Warum Leistung und Haltung für Unternehmen essenziell sind.

Der Autor:

Dr. Arnd Zschiesche gehört zu den führenden Experten für wissenschaftliche Markenführung im deutschsprachigen Raum. Der Markensoziologe beschäftigt sich mit allen Fragen der strategischen Führung und langfristig orientierten Durchsetzung von Marken. Er ist Autor von 18 Sach- und Fachbüchern (u.a. Markenkraft im Mittelstand/Marke statt Meinung), sowie beständig als Interviewpartner in den Medien vertreten (u.a. „ARD-Markencheck“, „Plusminus“), zuletzt beim RBB Super.Markt zu “Müller Milchreis”. Arnd Zschiesche ist Mit-Gründer und seit fünfzehn Jahren Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung in Hamburg sowie seit neun Jahren Dozent für Brand Management an der Hochschule Luzern Wirtschaft (HSLU).

Arnd Zschiesche 2021

Grundlagen der Markensoziologie – Die Marke langfristig profitabel führen.

Warum ordnen starke Marken Märkte zu Kundschaften, und zwar Jahrhunderte hindurch? Weil Marken Bündnisse sind, freiwillige Bündnisse und auch deshalb von Dauer. Was veranlasst den einzelnen Menschen, solchen Ordnungsrufen zu folgen? Weil er sich in solchen Wirtschaftskörpern seinen Wunsch nach Ungleichheit erfüllen kann. Und schließlich: Welche Bedingungen muss ein Unternehmen schaffen, um solche ungleichen Ordnungssysteme ökonomisch erfolgreich werden zu lassen? Indem es unverwechselbare Stilsysteme aufbaut. Drei Fragen, drei Antworten. Eine Einführung in die Markensoziologie.

I. Die Marke als Bündnis

Markensoziologie beschreibt die Fähigkeit, Marken als Wettbewerbswaffe profitabel und wertsichernd zu führen. Diese wertsichernde Profitabilität entsteht durch ein besonderes Verhältnis der förderlichen Zuneigung aller Menschen innerhalb des Wirtschaftskörpers einer Marke. Profit lässt sich auch kurzfristig, durch einmalige Verkaufshandlungen hervorrufen, aber Werte werden dadurch kaum gebildet. Es entsteht kein Dauergeschäft, d. h. keine kostenentlastende Wiederholung.

Eine markensoziologische Strategie sichert die Fähigkeit, langfristige Bündnisse herzustellen: Bündnisse zwischen Menschen, zwischen Menschen und Waren, zwischen Menschen und Waren und Preisen und Verkaufsarten und zahlreichen weiteren Komponenten. Die für das Tagesgeschäft zubereitete Strategie der Bündnisoptimierung machen die soziologischen Hintergründe deutlich, denn Soziologie ist die Lehre von den Bündnissen. Für den Markensoziologen ist der Markt ein Bündnisgefüge. Der Markenverantwortliche ist ein Bündnisbilder.

Ein Bündnis muss gewollt werden, sonst ist es nicht. Deshalb ist ein Bündnis immer so dauerhaft, wie der Wille der Menschen, die es wollen. Es gibt langfristige, unausweichliche Bündnisse – das Verhältnis zu unseren Eltern – und von uns selber zu steuernde und bewusst hervorgebrachte: mein Bündnis mit einem Börsenpapier. Das eine ist ein Bündnis meines ganzen Wesens, ein Bündnis, in dem ich als ganzer Mensch stehe, schicksalhaft. Das andere habe ich selber herbeigeführt, als Experte, es unterliegt meiner Entscheidung. Das eine ist Pflicht, das andere Kür. Dieser Unterschied macht die Unterscheidung zwischen dem dauerhaften Markenbündnis und dem flüchtigen Produktkontakt erkennbar.

Wir leben diesen Unterschied bereits in den Gemeinschaften unserer Heimat und den Gesellschaften unserer juristisch herbeigeführten Vereinigungen. Der Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft ist keine terminologische Finesse, er beschreibt vielmehr zwei unterschiedliche Bündnisarten. Gemeinschaften sind Kollektive, die durch Geschichte gewachsen sind, nur ganz allmählich sich wandeln und durch Sitten und Gewohnheiten die Seele jedes Menschen zutiefst prägen, von ihr Besitz ergreifen, wie wir zutreffend sagen. Unsere Sitten füttern uns, so dass wir Vor-Lieben in uns aufbauen. Eine Vorliebe ist noch stärker als eine Liebe. Vor allem ist sie dauerhafter. Der Wille der Sitte gilt und unserer eigener Wille erfüllt diesen „sozialen“ Willen gerne. Mehr noch: Der individuelle Wille wird durch den sozialen Willen angeregt und entfaltet.

So erwachsen durch den geteilten, ähnlich gerichteten Willen vieler Menschen bestimmte kulturelle Vorgänge und örtliche Rituale. Die Gewohnheiten unserer eigenen Kultur beispielsweise haben so von uns Besitz ergriffen, dass wir sie ununterbrochen ausstrahlen. Daher werden wir immer wenn wir in anderen Gewohnheiten bzw. Kulturen auftauchen, ob als Tourist oder Geschäftsreisender, sogleich als Ungleicher erkannt: An unserer Kleidung, unserem Auftreten, unserer Sprache und und und. Was für den Menschen gilt, gilt auch für die Dinge, die er produziert: Zu den unverzichtbaren Komponenten unserer bunten Waren-Kultur gehören die starken Marken. Globale Ikonen wie IKEA, Coca-Cola, Rolex, Mercedes, Armani sind immer auch Botschafter ihrer Heimatkulturen.

Der Gegensatz zu einem gesellschaftlichen Bündnis wird nun deutlich. Ich stelle es selber her, ich bin der Initiator, mein Wille entscheidet. Gesellschaften gehen auf Gründer zurück, sie sind zweckhafte Sozialkreationen, sie sind die ausorganisierten Einfälle unternehmerischer Einzelner. Das gesellschaftliche Kollektiv wird durch Gesetze geregelt. Ganz im Unterschied zur geschichtsgetränkten Sitte, die durch Überlieferung und Tradition weiterbesteht, gilt für die Gesellschaften das Recht als Steuerungsinstrument. Deshalb sprechen wir auch vom Gesellschaftsrecht bei Firmen. Eine Aktien-Gemeinschaft ist unvorstellbar.

Die Haltungen der Menschen innerhalb dieser beiden Kollektive zu Menschen und Dingen ist äußerst gegensätzlich. Während in einer Gemeinschaft alle individuell Getrennten letztlich verbunden sind, bleiben die nur rechtlich Verbundenen einer Gesellschaft letztlich eher getrennt. Vertragsverhältnisse kann man kündigen, Blutsbande jedoch nicht. Deshalb leben Gemeinschaften vor allem durch ihre geteilte Vergangenheit, Gesellschaften jedoch von ihrer Zukunft. In dem einen Bündniszusammenhang sind wir der Bauer, im anderen der Schmied. Der Bauer lebt im Gegebenen, wartet im Sich-Wiederholenden, führt es rückkoppelnd fort. Der Schmied dagegen schmiedet das Neue, gemäß seinem Genius, ein Ingenieur.

Beide Bündnisformen regeln auch unseren Umgang mit der Ware: als Marke und Produkt. Zum Produkt haben wir ein gesellschaftliches Verhältnis. Wir sind die hellwach Prüfenden, wir sind urteilende homines oeconomici, testen bei jeder Nutzung Qualität, Service und Preis. Wir sind das Subjekt, der Souverän, der Entscheider. Bei der Marke ist es genau entgegengesetzt. Sie ist Kraft einer Wertschöpfungsgemeinschaft. Über Jahre hindurch hat sich gute Erfahrung mit allen Lebensäußerungen des Unternehmens in einer Kundschaft kumuliert. Die Prüfnervosität des Käufers hat sich gelegt, öffentliches Vertrauen hat sich gebildet, die Marke ist Subjekt geworden, wir das Objekt.

Eine Neigungsbereitschaft zu einer Marke hat uns erfasst, wir haben ein positives Vorurteil der Firma gegenüber entwickelt. Die bewusste Unnachdenklichkeit gegenüber der Leistung hat sich in uns breit gemacht – Markenkraft ist entstanden.

II. Die Ungleichheit als Grundlage

Lebendiges ist immer einmalig – und daher ungleich. Es gibt keine zwei identischen Blätter an einer Eiche, nicht zwei gleiche Katzen, keine zwei identischen Stimmen, keine zwei identischen Wolken. Die kompositorische Kraft des Universums realisiert sich in immer einmaliger Gestalt.

Der Wirtschaftskörper einer Wertschöpfungs-Gemeinschaft, der Wirtschaftskörper einer Marke ist in eben diesem Sinne das Ergebnis eines solchen Willens zur eigenen Komposition. Der Wille zur eigenen Komposition führt zu immer mehr Ungleichheit. Deshalb gibt es zwar überall die Gewohnheit zu schlafen, zu essen, sich zu schminken und die Freizeit zu verbringen, die Kinder zu erziehen und die Toten zu ehren. Aber sie unterscheiden sich alle: Sie sind immer von ganz anderer Gestalt. Ein katholischer Gottesdienst ist nicht der eines Moslems, der Stephansdom ist nicht der Hamburger Michel, die Chansons der Juliette Greco nicht die Songs von Coldplay.

So ist Ferrari nicht TESLA und die Wranglers keine Levi’s. Die Marken regeln Details immer irgendwie so, dass man sie sogleich als von dort und nicht von hier, also so geartet und eben nicht austauschbar erkennt. Gewohnheiten lenken die Menschen, aber jede einzelne ist anders gestaltet. Die Freude an der Ungleichheit wird zum Willen zur Ungleichheit. Am Gestalthaften erkennen sich die Menschen als ähnlich und als fremd, als Freunde oder Feinde. Und also betonen sie ihre Ungleichheit. Jeder hat das Recht zur Ungleichheit. Hier zeigt sich das Dramatischste an jedem Bündnis – seine gestalthafte Individualität. Die Muster binden uns zusammen und grenzen uns ab. Alles ist ungleich. Und eben diese Gegensätze sind das Leben. So gleich die Funktionen der Sitten sind – so ungleich ist ihre jeweilige Gestalt.

Dieser Wille zur Ungleichheit ist für den Markenführer der wichtigste Sachverhalt überhaupt. Das Produkt in seiner mengenartigen Austauschbarkeit veranschaulicht die Gleichheit, denn jedes Produkt einer Serie gleicht dem anderen und auch untereinander gleichen sie sich an. Es ist die Funktionalität, die die Produkte auswechselbar macht. Der Wert, der die geringste Windschlüpfrigkeit garantiert würde es erzwingen, dass alle Autos gleich aussehen. Allein die Marke als Gestalt muss mit Erfindungskunst und Einfallsreichtum alles das herausarbeiten, was zur Besonderheit taugt und es zur eigenen Gestalt bündeln. Die Unverwechselbarkeit im Detail wird dann zum einmaligen Gewohnheitsraum, der Bündnisraum Marke zur besonderen Komposition.

Der Wunsch der Menschen nach Ungleichheit ist der anthropologische Motor, der die Suche nach der Markenleistung im Markt antreibt. Der Wille zur eigenen Gestalt der Marke muss daher den Markenverantwortlichen im Tagesgeschäft lenken. Während die erste Regelung sein muss: Schaffe Markenräume als Gewohnheitsräume, präzisiert der zweite Aspekt: Schaffe sie als individuelle Gestalträume: Wie aber sollen sie ausgestaltet werden? Wie wird ihre Ordnungskraft erhalten?

III. (Marken-) Führung durch Stilbewusstsein

Das wichtige Führungsmittel im Markt ist es, unterschiedliche Stilsysteme herauszubilden. Führung durch Stil heißt: Führung durch Details. Wenn der Polizeipräsident von New York seine Stadt wieder sicherer gemacht hat, so hat er das durch stilistische Strenge erreicht. Wer seine Bierdose wegwirft, wird bestraft, wer zu schnell fährt, aus seinem Auto gezerrt und wie ein Schwerverbrecher behandelt.

Das Prinzip der Führung durch Stil lautet: Null Toleranz bei Gestaltfragen. Die Römer nannten das : principia obstate – Wehret den Anfängen! Die amerikanischen Kommunalpolitiker nennen es „the theory of broken windows“. Lass nicht die geringste Beschädigung zu, denn wenn du in einer Straße eine zerbrochene Scheibe erlaubst, sind es in der nächsten Woche schon zwei, dann fünf und ein halbes Jahr danach kannst du nicht mehr heil durch den Stadtteil gehen. Das Prinzip, welches hier angewandt wird, ist ein typisch markensoziologisches: Achte auf deine Gestaltdichte! Halte deine Gestalt diszipliniert, dann wirst du Anhänglichkeit schaffen. Government by style ist Gestalt-Engineering.

So wie Baustile uns fesseln oder ein Musikstil uns lange Jahre oder über Generationen bindet, so auch der Stil einer Marke. Ein weitverbreiteter Irrtum besteht darin, zu meinen, die Menschen ließen sich durch Argumente beeindrucken oder gar auf Dauer führen. Diese Illusion aufklärerischer Rationalität zeigt sich auch in der Markenbindung. Argumente sind wichtig, aber auf Dauer nicht tragfähig. Wir suchen ein Bett und ein Hotel – sicher. Aber dann fängt es an: welches Hotel? Wir brauchen ein Auto und jedes hat gute Argumente für sich. Aber eben deshalb ist die Beziehung flüchtig – sie hält so lange, bis ein besseres Argument auftaucht. Treue entsteht so nicht.

Ein anderer Sachverhalt ist der eigentlich steuernde: die Gestalt. Damit ist nicht Design gemeint, sondern Stimmigkeit. Stimmigkeit der Erfahrung. Der Mensch ist ununterbrochen tätig, Gestalturteile über Stimmigkeiten hervorzubringen. Das passt zusammen, dies nicht, dies war früher aufeinander abgestimmt, ist jetzt auseinandergerissen. Mergers&Acquisitions liefert ständig Beispiele solcher Un-Stimmigkeiten. Diese Urteilskraft ist nicht argumentativ. Sie ist aber auch nicht das, was irrtümlich immer als emotional bezeichnet wird. Ein Gestalturteil ist zwar in der Regel rasch gefällt, aber immer ist der Geist des Urteilenden unaufhebbar beteiligt. Stil ist Magnetismus der Gestalt. Niemand sieht ihn und doch ordnet er alles.

Führen durch Stil ist wichtig im Überlebenskampf. So wie sich die Einzelelemente der verschiedenen Gestalten, der Kundschaften am Stil erkennen, und sei es nur am Tonfall einer Stimme oder an der Art, eine Naht zu nähen, so entscheidet auch im Kampf um die Gestaltsicherung vor allem der Stil. In Bezug auf eine Leistung stilvoll zu handeln heißt daher: auf alle Details achten und diese so verwirklichen, dass die gewollte Besonderheit stimmig realisiert wird. Stilkontrolle ist daher das allerwichtigste. Ein Vorstandsvorsitzender kann sich nicht um die einzelnen Arbeitsvorgänge im Unternehmen kümmern. Seine Arbeit besteht darin, die stilistische Oberfläche der Marke gestaltdicht zu halten. Der Markenverantwortliche ist daher ein Sozialstilist.

Durch die Wiederholungen der Details zeigt die Sitte ihre Kraft. Sitten sind Stilkompositionen aus Hunderten von Einzelvorgängen – Bewegungen, Klängen, Gerüchen. Gemeinschaften werden energetisch immer wieder aufgeladen durch die Details eines Brauchs: die Gesten des Priesters, das Kleid der Braut, die Musik der Band und der Duft der Speisen – alles unverwechselbar und hunderttausendfach wiederholt – dann stimmt die Welt und wir fühlen uns wohl, es ist gewohnt, die Gewohnheit als Wohnzimmer der Seele. Es ist nun völlig klar: Hier hinein gehören die Marken

Zwei grundlegende Prinzipien zur Gestaltführung

Erstens muss die Markengestalt selber ihre Gestaltstrenge beibehalten. Wenn auf ihrer Außenhaut alle Details so stimmig zueinander gehalten worden sind, dass im Publikum immer wieder der Eindruck von einem “Ding” entsteht – einem zusammenhängenden, nicht einem zusammengesetzten. Stilstrenge kostet nicht viel Geld, aber viel Aufmerksamkeit und Sinn für Details. Denn je strenger hier die Gestalt geführt wird, desto mehr ermöglicht sie es, Eigenbewusstsein zu erzeugen. Bewusstsein der eigenen Gestaltbesonderheit. Das aber verursacht Stolz. Und wenn erst einmal Stolz in der Kundschaft entfacht ist, beginnt die Markentreue.

Und zweitens: Der Stil muss leistungsernst sein, um dauerhaft zu wirken. Nur dann löst er Eigenenergie im umliegenden Menschenfeld aus. Nur dann zündet er im Publikum den Willen, diese Stilstrenge selbsttätig weiterzuverbreiten.

Das geschieht im Markt durch Qualität. Qualität im weitesten Sinne, Ernsthaftigkeit des hergestellten Gutes und der Art seines Verkaufs: Leistungsernst. Leistungsernst ist die Durchsichtigkeit aller kaufmännischen Vorgänge – im Produkt ebenso wie im Vertrieb, im Konditionensystem ebenso wie in der Preispolitik. Der Leistungsernst ist die Grundlage für das Begründbare im öffentlichen Vertrauen, welches einen Markenkörper charakterisiert. Der reine Nutzen ist treulos. Erst als Stil produziert Nutzen Anhänglichkeit.

Damit hat der Kaufmann auch den dritten Teil seines Werkes in der Hand: nach dem Aufbau eines Markenkörpers und dessen individueller Herausstellung folgt die Sicherung dieses Systems durch hartnäckige Stilstrenge im Tagesgeschäft. Marke ist stilistisch organisierter Leistungsernst. 

Cover des Buches "Grundlagen der Markensoziologie. Die sozialen Prinzipien von Markenbildung und -führung in Theorie und Praxis.
Das Standardwerk: Grundlagen der Markensoziologie. Springer Gabler 2018. Von Alexander Deichsel, Oliver Errichiello und Arnd Zschiesche. Dieser Text ist dem Buch entnommen.

Hintergrund-Info: Markensoziologie

Weitere Artikel zur wissenschaftlichen Markenführung und zur Markensoziologie finden sie auf dem “Markenradar” unter dem entsprechenden Stichwort, z.B. “Grundlage jeder Marke ist auch 2020 ihre Leistung”. Mehr zu Professor Dr. Alexander Deichsel, dem Begründer der Markensoziologie finden Sie hier.

Alexander Deichsel unterrichtet an der Universität Hamburg (2019).

Mehr Informationen zu Professor Dr. Oliver Errichiello und Dr. Arnd Zschiesche.

Kirche als Marke

Die Kirche kämpft mit einem fundamentalen Mitgliederschwund. Heute muss die Kirche überzeugen, will sie für Menschen weiterhin relevant sein. Dabei gilt es zu verstehen, dass Marke eben nicht nur auf Produkte oder Dienstleistungen begrenzt ist, sondern auf sämtliche Leistungsangebote, die unter einem Namen in der Öffentlichkeit wirksam sind. Damit ist auch die Kirche eine Marke. Denn Marken sind positive Vorurteile, die sich Menschen über einen Akteur, in diesem Fall die Kirche, machen.

Das Thema Marke irritiert die Kirchen: Zurecht!

Marke ist seit vielen Jahren ein Thema, das eine unüberschaubare Vielfalt an Meinungen beinhaltet. Auch die Verbindung von „Kirche und Marke“ spielt inzwischen – noch etwas verschämt – eine wahrnehmbare Rolle bei Tagungen und Konferenzen innerhalb von Kirchen, Gemeinden und Bistümern. Gerne wird dort provokativ gefragt, ob denn die Kirche überhaupt eine Marke sei oder überhaupt eine sein wolle. Und so manches Mal kämpfen die Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit in einer Kirchengemeinde, aber auch in übergreifenden Stabsstellen gegen das Missfallen und die Irritation bei Berufenen und Laien an.

Über Jahrzehnte begnügte sich die Kirche mit semiprofessionellen Broschüren und Informationsblättchen. Kirche war schließlich Kirche und damit auch ein Gegengewicht zur oberflächlichen Welt des Konsums mit ihren einfältigen Zwecken und Bedürfnissen. Werbung oder gar Marken waren Begrifflichkeit „des Anderen“, also einer Ideenwelt, von der sich die Kirche und ihre Institutionen bewusst abheben wollten. Marke war dem traditionellen Verständnis nach höchstens das kleine und engagiert erstellte Gemeindeblättchen. Die Pfadfindergruppe nutzte für ihre Außendarstellung die kreativen Kräfte ihrer Mitglieder, und der Singkreis erstellte ein schickes Logo durch einen gestalterisch begabten Sänger. Alles Klischees? Sicherlich – und gleichzeitig doch immer noch Realität, mit denen die Kirche in Zeiten sinkender Budgets und gesellschaftlicher Verankerung umzugehen hat.

Für kirchlich Engagierte ist gut nachvollziehbar, dass das Thema „Marke Kirche“ ein diffuses Unbehagen auslöst. Denn wer den Glauben ernst nimmt, der kann nicht die identischen Parameter einer Zweckorientierung für die Geistigkeit des Menschen ansetzen wie für Hygieneartikel, Genussmittel und Spielwaren. Umso wichtiger ist es, klar zu differenzieren: Glaube und Kirche sind in einem christlichen Verständnis untrennbar miteinander verbunden, zugleich aber durch fundamentale Unterschiede gekennzeichnet.

Die Kirche muss (wieder) ihre Botschaft vermitteln

Die Auslegung und das Erlebbarmachen von Glauben durch definierte Rituale ist Aufgabe der Theologen. Entscheidend ist: Die Kirche ist neben ihrer religiösen Verankerung als Körperschaft des Glaubens auch immer eine weltliche Organisation (sog. „doppelte Wesensbestimmung der Kirche“ nach dem II. Vatikanum). Als weltliches System befindet sich auch die Kirche im Wettbewerb um Alltagsrelevanz und Aufmerksamkeit. Die Kirche hat die Aufgabe, durch eine resonanzorientierte Präsenz möglichst vielen Menschen von ihrem Tun und ihrer Wirksamkeit zu berichten, um dadurch Menschen in ihrem Glauben zu bestärken oder aber mehr Menschen für ihren Glauben zu gewinnen. Hierin besteht die Aufgabe jedes „lebenden Systems“, und die Kirche und ihre vielen verschiedenen Aktivitäten sollte sich nicht davon ausschließen. In erster Linie ist Markenarbeit Vertrauensarbeit – und hier gibt es für die Kirche einiges zu tun…

Auszug aus dem Buch: Errichiello/Zschiesche: Die Kirche als Marke stark machen (2020). Wiesbaden, Springer Gabler.

Markenmanagement für Kirchen: Praxisorientiert, sensibel und wissenschaftlich fundiert.

Grundlage jeder Marke ist ihre Leistung. Ist das 2020 noch zeitgemäß?

Antwort: Auch im 21. Jahrhundert kauft der Mensch die Leistung einer Marke. Ihr Image allein hilft ihm nicht, egal wie grandios es ist. Ein Marken-Image wäscht weder seine Wäsche, noch bringt es ihn von A nach B oder beseitigt seinen Mundgeruch.

Viele reden von “Emotions” oder “Awareness”, wenn es um Marke geht, oder – um in dem Duktus zu bleiben -, wenn es ums “Branding” geht. Eine besonders absurde Werber-Phrase gab es (oder gibt es), die ungestraft Aufmerksamkeit als neue Währung für Unternehmen bezeichnete. Sätze wie “Awareness/Likes sind die neue Währung” wurden tatsächlich so vor Zeugen formuliert. Klingt in der ersten Sekunde nach dem Hören kompetent, ist es aber nicht. Zumindest wenn das angestrebte Geschäft ein langfristiges aka seriöses sein soll.

Marken leben von ihren Leistungen.

Die Markensoziologie postuliert unverdrossen, dass Leistung, Leistung, Leistung die Grundlage jeder erfolgreichen Marke ist. Aber kaufen viele Menschen im Jahre 2020 nicht tatsächlich nur noch Images? Ist der Kundschaft die handwerkliche oder analytische Leistung, die ein Schneider, Tischler, ITler oder Uhrmacher für ein Produkt XY erbracht hat, nicht völlig egal? Ist die Ingenieurs-Denkarbeit, die in einen kabellosen Dyson V6 Trigger+.14 mit patentierter Zyklontechnologie vorab eingeflossen ist, nicht vollkommen irrelevant für den Käufer?

Nur wenn er damit nicht seine Wohnung reinigen will und das futuristisch anmutende Stück lieber plakativ in der Wandhalterung belässt. Der “normale” Mensch kauft weiterhin eine Leistung. Selbst ein Ferrari muss eine bestimmte Leistung für seine Käufer erbringen, reines Image bringt seine 500 PS nicht “auf die Straße”. Im Gegenteil es ist erst Resultat der rot-rasanten Vor-Leistung über die Zeit. Wer sich eine schön gestaltete prestigeträchtige Bang & Olufsen-Musikanlage für viel Geld gönnt und dann feststellen muss, dass die Klangqualität bescheiden ist oder der Kundenservice nicht adäquat funktioniert, dem nutzt das Ansehen der dänischen Edelmarke vom Limfjord überhaupt nichts.

Images und “Emotions” sind Resultate von Leistungen.

Selbst höchste Marken-Emotionen sind stets Ergebnis unternehmerischer Leistungen, die zuvor in der Kundschaft und in der Öffentlichkeit zum Aufbau einer speziellen Erwartungshaltung geführt haben. Selbstverständlich kaufen viele Menschen ein Produkt oder eine Dienstleistung auch, um am Image einer Marke teilhaben zu können. Dies entbindet die Marke aber keinesfalls von der Verpflichtung, diese Leistung zu erbringen.

Entscheidend ist, nie den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang hinter jedem Marken-Image zu vergessen: 

Image und Leistung sind komplementär. Marke und Leistung sind komplementär. Wir machen uns immer ein Bild von der Leistung, bevor wir sie kaufen, speziell wenn es um teure oder wichtige Anschaffungen geht.

Leistungen erschaffen positive Vorurteile.

Egal wie viele Eindrücke, Erzählungen, Bewertungen über eine Leistung bereits auf uns eingestürzt sind, das finale Bild entwickeln wir weiterhin selbst. In einer hochkomplexen Welt sind wir Laien in den allermeisten alltäglichen Zusammenhängen. Gerade deswegen müssen sich unsere Vorausurteile und Erwartungen von der Vorab-Recherche bis hin zum konkreten Umgang mit dem Produkt bestätigen. D.h. sie sollten möglichst an jedem Auftritts- und Kontaktpunkt mit der Marke Bestätigung erfahren. Besondere Leistungen erschaffen positive Vorurteile, diese ermöglichen überhaupt erst Orientierung im überbordenden Warendschungel von heute. Trotz hoher Schnittmenge: Im Gegensatz zu reinen Imagebildern sind sie an spezifische Leistungen angebunden bzw. daraus entstanden.

Genau darin besteht die hohe Kunst des Markenmanagements: Eine Marken-Leistung so zu verdichten, dass jedes Detail an jedem Ort das positive Vorurteil über die Leistung vertieft. In Zeiten sozialer Medien und oft schwer zu kontrollierender Kontaktpunkte in der digital-unendlichen Welt, eine Mammut-Markenaufgabe. Im Ergebnis geht es für jede Marke darum, ihr positives Vorurteil über die eigene Leistung im Bewusstsein der Menschen und ihrer Kundschaft sorgfältig bis ins Detail hinein zu bestätigen. Immer und immer wieder. Gute Markenverantwortliche managen positive Vorurteile über spezifische Leistungen. Dazu braucht es sowohl Liebe zum kleinsten Leistungs-Detail wie auch parallel immer den Sinn für das große Leistungs-Bild.

Ohne Leistung existiert kein positives Vorurteil. Egal wie grandios das Image ist: Jede Marke lebt Leistungserfüllung im Tagesgeschäft. Jedes Markenimage ist Resultat von Vorleistungen. Nachlassen ist keine Option.

Die zwei Soziologen Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello erklären im Interview warum jedes Markenimage Resultat von Vor-Leistungen ist.
Die Autoren des Beitrags: Dr. Arnd Zschiesche und Prof. Dr. Oliver Errichiello, Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung Hamburg. Dies ist ein veränderter und verkürzter Auszug aus dem Buch “Marke statt Meinung”. Zschiesche und Errichiello geben hier in 50 Antworten Auskunft über die ihnen meistgestellten Fragen zur wissenschaftlichen Markenführung.

Kontaktieren Sie bei Fragen gerne Dr. Arnd Zschiesche per E-Mail: az@buero-fuer-markenentwicklung.com

Das Cover des Buches "Marke statt Meinung. Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten" mit einer roten Fahne mit weißer Schrift vor dunkelblauem Hintergrund.
Marke statt Meinung. Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten. GABAL Verlag.


Was ist der Unterschied zwischen Markenführung und Marketing?

Die Markenführung muss immer das Markensystem, den Gesamt-Markenkörper und seine Stärkung im Auge haben. Sie steckt den Korridor ab, in dem das Marketing agieren darf.

Markenführung und Marketing sind oftmals zwei klassische Spannungsfelder in Unternehmen: Denn exakt zwischen diesen beiden Polen kommt es gerne einmal zum Crash in Sachen Strategie und Tagesgeschäft – ähnlich verhält es sich in vielen Firmen mit dem Vertrieb oder Außendienst. Was also ist der Unterschied zwischen Markenführung und Marketing im Tagesgeschäft und darüber hinaus? Die Marketeers stehen einerseits unter Verkaufsdruck von oben, in einigen Branchen auch insgesamt unter erheblichem internem Rechtfertigungsdruck (z. B. Pharma), und sollen andererseits „irgendwie“ auch die Marke im Auge behalten. Diese unheilvolle Kombination führt in vielen Unternehmungen dazu, dass im Tagesgeschäft bei Aussicht auf einen schnelldrehenden Abverkaufserfolg die „hehre“ Marke mal eben schnell vergessen wird. In dem Moment sehen die Verantwortlichen nur die einmalige Chance, den (er-)drückenden Lagerbestand in Windeseile erheblich zu dezimieren – und vergessen die langfristige Markenpflege.

Als direkte Folge einer solchen Politik hängen dann Polo Ralph Lauren, Barbour, Michael Kors und Lacoste friedlich nebeneinander beim Textildiscounter bzw. auf dem Markenfriedhof; diese Auswechselbarkeit der Produkte führt schlussendlich dazu, dass irgendwann niemand mehr bereit ist, den regulären Preis für irgendetwas zu bezahlen. Die schönste Verteidigungsphrase für dieses (selbst-) zerstörerische Vorgehen: „Da gibt´s doch überhaupt keine Berührungspunkte zu unserer Kundschaft.“ Dies ist genau der Grund, warum die Markenführung zwingend bei der Unternehmensführung liegen muss. In anderen, zumeist kleineren Firmen ist das Marketing “irgendwie” auch die Marken-Abteilung. Es existiert keine klare Abgrenzung der zwei Kompetenzen. Das kann auch bei einem guten Markenverständnis im Marketing und vorhandener starker, direkter Nähe zum eigenen Produkt wie es in vielen KMUs der Fall ist, tatsächlich unproblematisch sein. Erfahrungsgemäß wird es ab einer gewissen Komplexität im Unternehmen schwierig sicherzustellen, dass diese Pole weiterhin gemeinsam in eine ganzheitliche (Marken-) Richtung arbeiten.

Marketing und Markenführung müssen Hand in Hand gehen, sonst funktioniert es nicht: Denn die Marke stellt dem ganzen System den Motor zur Verfügung und sie gibt den Korridor vor, in dem agiert werden darf – ihre Leistung treibt alles an und ist die Grundvoraussetzung dafür, dass das Gesamtsystem am Laufen gehalten bzw. erst einmal zum Laufen gebracht wird. Die Aufgabe des Marketings besteht nun darin, diese individuelle Motorleistung ohne Reibungsverluste mittels zusätzlicher Verdichtung „auf die Straße“ zu bringen.

Der markensoziologische Bauplan sieht das Marketing in gleicher Funktion: die von der Markenführung und dem genetischen Code bzw. Erfolgsprofil vorgegebenen Leistungskomponenten so zu mischen und aufzubereiten, dass die Leistungen der Wertschöpfungstreppe ihre Durchsetzungskraft im Markt vollständig entwickeln können. Die Aufgabe des Marketings: den Geldgeber, sprich die Kundschaft, zu erschaffen und zu vermehren. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn sie allein versorgt das System mit frischem Geld und finanziert dadurch alle mitarbeitenden Menschen.

Die Markenführung muss den langfristigen Schutz der Marke gewährleisten und den Handlungskorridor vorgeben. Das Marketing muss im Tagesgeschäft die Markenleistung an die Frau und den Mann bringen – im definierten  Handlungskorridor der Marke.

Marke statt Meinung. Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten. GABAL Verlag.

HINTERGRUND ZUM TEXT:

Der vorliegende Text ist leicht abgeändert und gekürzt worden. Der vollständige Originaltext befindet sich im Buch “Marke statt Meinung” von Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello, welches im GABAL Verlag erschienen ist. Darin beantworten die Gründer und Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung in Hamburg die 50 Fragen zum Thema Marke, die ihnen in über 20 Jahren in der Markenberatung und an der Hochschule immer wieder gestellt wurden. Das Buch selbst wurde auf dem Markenradar bereits vorgestellt: Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten. Weitere Bücher der zwei Autoren zum Thema wissenschaftliche Markenführung gibt es hier. 

Kontaktieren Sie bei Fragen gerne Dr. Arnd Zschiesche per E-Mail: az@buero-fuer-markenentwicklung.com

Dr. Arnd Zschiesche und Prof. Dr. Oliver Errichiello

Ferdinand Tönnies, der Haubarg und die Marke: Die IG Baupflege Nordfriesland und Dithmarschen im Interview mit dem Markensoziologen Dr. Arnd Zschiesche (Teil 2)

 
Haubarg bei Tating, Baujahr 1818.
Die Markensoziologie rekurriert stark auf Ferdinand Tönnies, einen Sohn dieser Gegend. Geboren auf einem Haubarg in Oldenswort auf der Halbinsel Eiderstedt. Tönnies gilt als Begründer der Soziologie in Deutschland, wo genau liegt da die Verbindung zur Markenführung? Als Markenexperte ist Tönnies bisher jedenfalls nicht bekannt.

Tönnies kam im leider später abgebrannten Haubarg „Op de Riep“ bei Oldenswort auf der Halbinsel Eiderstedt zur Welt. Und: Ja, Herr Tönnies wird manchmal in seiner Wirkung unterschätzt! Leider. Dabei hat er eine Grundlagenarbeit für die Soziologie geleistet, die einmalig ist. Die Erkenntnisse seiner umfassenden Arbeiten sind seit über 100 Jahren brandaktuell, sie lassen sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche produktiv und praxisnah anwenden. Für Tönnies gilt in besonderem Maße der Spruch: Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie! Er legte mit seinem Wirken nicht nur den Grundstein der Soziologie in Deutschland, er gehört auch auf internationaler Ebene zu den Mitbegründern der Soziologie. Sein berühmtestes Werk heißt „Gemeinschaft und Gesellschaft“, erstmals publiziert 1887. Hier erklärt er, wie sich Gemeinschaft bildet und wie sich – in Abgrenzung dazu – Gesellschaft entwickelt.

Die brutale Kurzform der Erkenntnis für das Thema Marke lautet: Starke Marken bilden immer Gemeinschaften. Nicht umsonst spricht man von Apple-Jüngern, aktuell versuchen viele Marken neudeutsch „Communities“ mit ihrer Kundschaft zu bilden, manche möchten sogar zu „Love Brands“ werden. Nike-Mitarbeiter tätowieren sich einen „Nike-Swoosh“ auf die Haut um ihre tiefgehende Verbindung zur Marke zu zeigen. Extreme Beispiele, aber sie verdeutlichen das Prinzip: Wer Marke verstanden hat, der weiß, dass er gemeinschaftliche Strukturen aufbauen muss, wenn er langfristig Menschen binden will. Wer Tönnies verstanden hat, der weiß wie man gezielt Gemeinschaften aufbauen kann – wissenschaftlich fundiert. Wer Tönnies verstanden hat, der erkennt, dass jede Marke ein soziales Phänomen ist, dass wirtschaftliche Auswirkungen hat – umgekehrt funktioniert es nicht. Aus diesem Grund gibt es so viele Probleme in der aktuellen Wirtschaftswelt: Betriebswirtschaftlich geprägte Manager verstehen oftmals nicht, dass sie mit der Marke ein zutiefst soziales Phänomen managen müssen, um gute Zahlen zu erreichen. Zu Zeiten von Tönnies gab es diese harte Trennung von Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften nicht so stark wie heute. Ein großer Fehler im System. 

Tönnies verstand sich als Sozioökonom, er hat genau diese Zusammenhänge verstanden und sie fundiert herausgearbeitet. Meine persönliche Überzeugung ist, dass sein Aufwachsen in einem Haubarg, im ländlichem Gebiet, auf engem Raum mit starker „sozialer“ Nähe zu Mensch und Tier, für sein tiefes Verständnis von Gemeinschaft ursächlich ist.

Haubarg “Op de Riep”, Geburtshaus von Ferdinand Tönnies. Bild von 1900.
Könnten Sie bitte noch einmal erklären, was genau eine Marke ist? Es gibt gefühlt tausend Definitionen von Marke, wann kann man von einer „richtigen“ Marke sprechen?

Es gibt gefühlt tatsächlich Millionen von Definitionen, Ansätzen, Markenmodellen. Jeder Wirtschaftsprofessor hat gefühlt sein eigenes Modell – googeln sie dazu mal den Begriff Markenmodell. Die Markensoziologie beschreibt dagegen kein Modell, sondern analysiert die einzigartige Historie und Realität einer Marke, um ihre ebenfalls einzigartigen Erfolgsfaktoren herauszuarbeiten. Keine Marke der Welt kann über ein Modell hinreichend beschrieben werden. Kurz erklärt: Eine Marke ist ein positives Vorurteil in den Köpfen der Menschen. Selbst größte Globalmarken existieren nur als ein positives Vorurteil in den meisten Köpfen. Genau dies werde ich in meinem Vortrag ausführlicher erklären, um das Grundverständnis von Marke zu schärfen.

Zurück zur IG Baupflege: Wir leben in einer Zeit, wo sich unsere Kulturlandschaft gerade auch hier an der Westküste teilweise durch die erneuerbaren Energien, wie Windkraft, Solarfelder, gigantische Stromtrassen verändert. Hat das historische Bauerbe in dem Wahrnehmungswinkel, gerade der jetzt heranwachsenden Generation eine Chance? Und wie können wir deren Blick dafür schärfen?

Ich würde es genau umgekehrt betrachten wollen: Gerade weil sich unsere Umgebung durch Technologie verändert, wird das historische Bauerbe in seiner Relevanz für zukünftige Generationen weiter ansteigen. In der Markensoziologie heißt es salopp formuliert: Je mehr Globalisierung, Innovation und Digitalisierung, umso wichtiger die Herkunft, der individuelle Ort mit seinen Besonderheiten! Natürlich ist es wichtig, dieses Bewusstsein immer wieder neu zu schärfen, wie wir Anfang des Jahres wieder an der umfassenden Berichterstattung zur Befreiung von Auschwitz gesehen haben.

Meine Überzeugung ist es, dass bisher noch jede Generation ein Bewusstsein dafür entwickelt hat, dass die Vorgeschichte mehr ist als nur ein Faszinosum oder Kuriosum. Dass alles, was im Mai 2020 passiert, alles was wir sind, auf den Schultern und in den Köpfen anderer Generationen erdacht und umgesetzt wurde. Warum finden die Menschen denn einen Haubarg, Pfahlbauten im Sand, ein Schloss Neuschwanstein oder einen Eiffelturm so faszinierend? Warum laufen denn jeden Tag Geschichtsdokus im Fernsehen?

Zumindest jeder denkende Mensch sollte irgendwann in seinem Leben bemerken, dass nicht er oder sie der Mittelpunkt der Erde ist, sondern dass es bereits vor uns viele kluge Menschen gegeben hat. Kluge Menschen, die sich zum Beispiel auch beim Bau ihrer Häuser viele Gedanken gemacht haben. Kluge Menschen, die sich selbst und ihre Zeit in diesen Bauten materialisieren und so be-greifbar werden. Jede Marke, auch jede Kultur-Marke der Welt lebt von ihrer Geschichte: Ihre Attraktivität leitet sich in hohem Maße aus ihrer einmalig-individuellen Geschichte ab!

Zum Hintergrund des Gespräches: das 40jährige Jubiläum der IG Baupflege Nordfriesland und Dithmarschen

Den ersten Teil dieses Gesprächs können Sie in dem Markenradar-Blogbeitrag vom 20.04.2020 nachlesen oder in der Publikation der IG Baupflege “Der Maueranker”  39. Jahrgang März 2020. Direkt zu beziehen über die Interessengemeinschaft (IG) Baupflege Nordfriesland & Dithmarschen. Kontakt unter www.igbaupflege.de . 

Dort erfahren Sie zeitnah auch den neuen Termin für die Jubiläumsfeier “40 Jahre IGB” im Rittersaal des Schloss vor Husum, die ursprünglich am 30.04.2020 stattfinden sollte. Der Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung, Dr. Arnd Zschiesche hält auf dieser nicht öffentlichen Veranstaltung die Keynote: “40 Jahre Baupflege bedeutet 40 Jahre Markenpflege”.

Markensoziologe Arnd Zschiesche bei einem Vortrag im November 2019.

Mehr Vertiefung und Grundsätzliches zum Thema Marke: 

Marke statt Meinung. Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten. GABAL. 

Literatur zur nordfriesischen Baupflege und Baukultur finden Sie unter diesem Link auf der Website der IG Baupflege.

Die IG Baupflege Nordfriesland und Dithmarschen im Interview mit dem Markensoziologen Dr. Arnd Zschiesche (Teil I)

Der Vorstand der IG Baupflege bat den Hauptreferenten zur Jubiläumsveranstaltung “40 Jahre IG Baupflege” zum Interview. Das vollständige Gespräch ist nachzulesen im “Der Maueranker”/39. Jahrgang, März 2020. Festakt und Vortrag hätten am 30. April 2020 im “Schloss vor Husum” stattfinden sollen, mussten jetzt aber wegen der Corona-Krise verschoben werden. Ein neuer Termin wird demnächst bekannt gegeben.

Herr Zschiesche, wie kommt ein Markenexperte dazu, sich für die IG Baupflege zu engagieren? Soll so etwas wie die IGB auch eine Marke sein? Nivea, Tempo, Porsche, das sind doch Marken!

Selbstverständlich ist die “IG Baupflege Nordfriesland und Dithmarschen” eine Marke. Wer seit nunmehr 40 Jahren erfolgreich existiert und in seinem Metier und seiner Region für tiefe Kompetenz bekannt ist, aber vor allem wer als Verein eine solche Resonanz erhält, wie es nicht zuletzt die öffentliche Unterstützung für das neue Online-Lexikon beweist oder die Tatsache, dass man 1984 den Deutschen Preis für Denkmalschutz erhielt, der kann und muss für sich in Anspruch nehmen, eine Marke zu sein. Ob hinter dem Markennamen ein e. V., eine AG oder GmbH steht, das ist für die Wahrnehmung als Marke zunächst völlig egal.

Marke wird ab dem Punkt wirksam, an dem Menschen sich positiv über eine bestimmte Leistung vernetzen und bereit sind, dafür regelmäßig Geld zu bezahlen. Der Unterschied eines gemeinnützigen Vereins gegenüber einem „normalen“ Wirtschaftsunternehmen ist die Tatsache, dass eine Firma als Marke wirtschaftlich wirksam wird, wenn sie möglichst viel von ihrem Produkt verkauft. Vor dem Hintergrund ist die Aufgabe eines erfolgreichen Marken-Vereins gar nicht hoch genug zu bewerten: seine Leistung muss die Menschen so überzeugen, dass sie sogar ohne ein materielles Gegen-Gut zu erhalten für ein ideelles Gut freiwillig Geld geben. Um das zu erreichen, muss die Leistung des Vereins für viele Menschen einen hohen persönlichen Wert besitzen. Ob Porsche, Nivea oder IGB: Am Ende des Tages muss jede Marke der Welt über die Attraktivität ihrer Leistung Menschen dazu bewegen, ihr hart erarbeitetes Geld dafür zu investieren.

Die IG Baupflege hat sich ihre „Kundschaft“ erobert und beweist qua 40jähriger Existenz, dass der Erhalt dieser einzigartigen Kulturlandschaft viele Menschen bewegt und motiviert, sich auf die eine oder andere Art für die Sache zu engagieren. Ohne jedes Pathos: Eine einmalige Leistung, die wie jede herausragende Markenleistung nur mit erheblichem Engagement zu erreichen ist. Auch das Engagement der Menschen selbst ist innerhalb eines Vereins besonders hoch zu bewerten: Diese Menschen erledigen die Arbeit mehrheitlich nicht wegen des Geldes sondern um der Sache wegen! Sie sind zumeist keine hochbezahlten Mitarbeiter, sondern im Gegenteil unbezahlte Überzeugungstäter…

Und für eine ehrenamtliche Marke, der es um deutlich mehr geht als um Geld und Rendite sollte sich eigentlich jeder Mensch aus Prinzip engagieren! Ich tue dies besonders gerne für die IG Baupflege, weil mir aus vielerlei beruflich-persönlichen Gründen die Inhalte und Leistungen dieser Marke besonders nah am Herzen liegen (Vgl.: “Warum der Erhalt von nordfriesischen Haubargen für norddeutsche Soziologen Ehrensache ist“)

Bild: Das Kulturdenkmal Haubarg schematisch betrachtet. Das Gebäude mit dem gewaltigen Stauraum unter den Reetdach diente zum Heu bergen und als Lagerplatz für ungedroschenes Korn. Extrem hohe Eichenständer umschließen den Vierkant, auch Gulf genannt. Um das Ständerwerk gruppieren sich die Wohnräume und Stallungen. Einst gab es über 400 Haubarge auf Eiderstedt. 

Ist unser Verein, die IG Baupflege als Marke nicht viel zu klein, um als eigenständige Marke wahrgenommen zu werden? Bei Vereinen fallen einem Namen wie ADAC, NABU etc. doch eher ein.

Eine Marke zu sein, hat tatsächlich relativ wenig mit schierer Größe zu tun. Marke wird nicht erst wirksam ab einer gewissen Berühmtheit oder gar weltweiter Bekanntheit des Namens. Das ist nicht hinderlich, aber auf keinen Fall zwingend. Marke lebt primär von sozialer Dichte, nicht von Ausdehnung. Was genau heißt das?

Das kleine italienische Restaurant kann in seiner Region oder seiner Stadt bekannt sein für seine hervorragende Pizza oder Pasta. Die Menschen sprechen daher über diese Pizzeria, empfehlen sie weiter.  Es entsteht über die Zeit ein positives Vorurteil, ein guter Ruf über die Kulinarik dieses Restaurants.

Von dem guten Ruf des Restaurants kann die Familie gut leben, denn er sorgt dafür, dass derLaden jeden Abend voll ist. Das Restaurant ist in dieser Gegend somit zu einer echten Marke avanciert: Im besten Falle hat jeder in der Stadt oder der Region schon einmal den Namen des Pizza-Experten gehört, selbst wenn er oder sie noch nie dagewesen ist. Das nennt der Soziologe soziale Dichte, ein guter Ruf, ein möglichst gleichgerichtetes positives Urteil vieler Menschen über eine bestimmte Leistung. Für die Marke ist die Stärke dieses Vorurteils entscheidend und im Falle eines Vereins die daraus resultierende Stärke der Unterstützer. So wie für das Restaurant eine ausreichende Anzahl an italophilen Stammkunden.

Jede Marke hat so angefangen, ob Coca-Cola, oder NIVEA oder IG Baupflege…  Mit dem Unterschied, dass nicht jeder erfolgreiche Wirt zwangsläufig Lust hat, aus seinem Restaurant eine weltweite italienische Restaurantkette zu machen. Wozu auch, wenn sein Restaurant gut läuft und er sich nicht klonen kann oder will.

Das Namen wie der ADAC einen stärkeren, präzise gesagt einen höheren Bekanntheitsgrad in Deutschland als Marke haben, das ist bedauerlich für die IG Baupflege, aber es ist ohne Zweifel so.  Aber der NABU hatte seit 1899, der ADAC seit 1903 Zeit, sich ein positives Vorurteil aufzubauen. Die Seenotretter sogar seit 1865, da ist die IG Baupflege mit 40 Jahren noch ein Küken dagegen… Und wir arbeiten ja genau deswegen an der Marke.

Was ich damit sagen möchte ist, einerseits kann es für eine Marke wirtschaftlich vollkommen ausreichend sein, „nur“ in Anführungszeichen in ihrer Region bekannt zu sein. Andererseits benötigt der valide Aufbau eines guten Rufs, der Aufbau von Vertrauen in eine Leistung auch im 21. Jahrhundert weiterhin seine Zeit. Zumindest wenn der Vertrauensaufbau langfristig wirksam sein soll, was bei Marken grundsätzlich der Fall ist bzw. der Anspruch sein sollte.

Rein strukturell ist Marke eine sehr „spießige“ Angelegenheit: Ein Unternehmen oder eine Vereinsorganisation erbringt eine bestimmte Leistung. Wenn diese Leistung attraktiv für eine bestimmte Anzahl Menschen ist, dann findet sie zunehmend Anhänger, diese nutzen die Marke im besten Falle regelmäßig – und wenn sie wiederholt nicht enttäuscht wurden von der Leistung der Marke, entsteht ein positives Vorurteil.

Sie sind von Beruf und von der Ausbildung her Markensoziologe, warum beschäftigt sich die Soziologie überhaupt mit Marke?

Die Soziologie ist die Lehre von den Bündnissen. Der Mensch geht soziale Bündnisse mit anderen Menschen ein, aber er geht eben auch solche Bündnisse mit den Dingen ein: Das startet vielleicht beim ersten Teddy, geht weiter mit der Elmex-Zahnpasta im Bad, dem Apple-Laptop auf dem Schreibtisch oder dem Volvo auf der Auffahrt. Eine bestimmte Zeitung an jedem Sonntagmorgen oder der Tatort an jedem Sonntagabend. Siemens warb früher mit dem neudeutsch Claim „Wir gehören zur Familie“. Das beschreibt die Rolle, die einige Marken für uns haben können, sehr gut.

Marken gibt es, weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist, er liebt Dinge auf die er sich verlassen kann. Deswegen gibt es so viele Menschen, die ihren Sommer-Urlaub immer an der Nordsee, immer in diesem einen Hotel an diesem einen Ort verbringen. Das Höchste, was eine Marke erreichen kann, ist zu einer Gewohnheit im Leben von bestimmten Menschen zu werden, bei ihnen zum Alltag “irgendwie” dazu zu gehören. Das können ganz profane Dinge sein, vom Lieblingsjoghurt bis zum Lieblingskäse.

In der Markensoziologie heißt es: Marken sind ein Wohnzimmer der Seele. Der Markensoziologe trägt Sorge dafür, dass ein Unternehmen penibel darauf achtet, die Erwartungshaltung, das positive Vorurteil der Kundschaft über die Marke immer wieder neu zu bestätigen. Nur so kann sichergestellt werden, dass es wirtschaftlich funktioniert: Gutes Markenmanagement ist vor allem Vertrauensmanagement.

Der Soziologe achtet darauf, dass die Gründe, warum Menschen ein Bündnis mit einer bestimmten Marke eingehen wollen, dass genau diese konkreten Andockungspunkte stets erhalten bleiben. So wie die IG Baupflege dafür sorgt, dass viele Andockungspunkte, welche die Regionalmarken Nordfriesland und Dithmarschen ausmachen, erhalten bleiben: Für die Attraktivität dieser einzigartigen nordischen Kulturlandschaft.

Eines von vielen schützenswerten historischen Gebäuden in Nordfriesland und Dithmarschen: Der Haubarg Blumenhof bei Tating.

Erfolgsgeheimnis Ost: Die Warenrevolution ab 1989 – und die Marken-Rückbesinnung danach.

Ikone Ost: Vita Cola Original.

Am 9. November 1989 fiel die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten. Mit der Öffnung flutete die westliche Warenwelt in den zuvor abgeriegelten Ostteil des Landes. Es kam dort zu einem begeisterten Spontankauf der jahrelang ersehnten Markenprodukte „von drüben“ – mit 100 DM „Begrüßungsgeld“ als monetäre Grundlage. Mit Ende der erzwungenen Konsum-Abstinenz und des stetigen Mangeldiskurses entlud sich zunächst einmal ein heftiger Konsumstau, und Westerzeugnisse waren für einige Monate das nicht hinterfragte Nonplusultra in allen fünf neuen Bundesländern. Eine etwaige Rückkehr der Ostmarken erschien vor diesem Hintergrund und zu diesem Zeitpunkt völlig illusorisch. 

1. phase: Bunte westwaren erobern das ostregal

Sämtliche leergefegten Ostregale füllten sich mit bunten Westwaren, Knorr verdrängte Suppina, der handliche Braun-Rasierer den klobigen Bebo-Sher, Lego die Formo-Steine, und kaum ein Mensch wollte mehr Vita oder Club Cola trinken, schließlich war Coca-Cola nach Jahren des Wartens urplötzlich ein an jedem Kiosk erreichbares Statussymbol geworden (geleerte Coca-Cola-Flaschen standen sonst jahrelang als Trophäen in der Schrankwand). Das Interesse an den eigenen Marken und ihren Produkten tendierte aus nachvollziehbaren Gründen gegen null: Über Jahre wurden sie nur als Surrogate attraktiver und schwer erreichbarer West-Originale gesehen. Ein Vertrauen in irgendeine Warenleistung Ost existierte nicht mehr, der Westen überstrahlte mit seinem Marken-Schein in den ersten Wendemonaten alles, und die eigenen Entbehrungen überwogen bei vielen der 16 Millionen Neu-Bundesbürger eine kritische Hinterfragung der sich gerade erst erschließenden bunten Konsumwelt, die jetzt über den zerstörten „antifaschistischen Schutzwall“ gen Osten rollte.

Die westlichen Global Player, allen voran die großen Lebensmittelkonzerne wie Nestlé, Procter & Gamble oder Coca-Cola „überschütteten“ den neuen Markt mit ihren (zu Beginn subventionierten) Produkten, um sich eine möglichst vorteilhafte Ausgangsposition im neuen Markt zu sichern. Sie verdrängten die Ostprodukte nahezu vollständig. Hier wurde bulldozerartig ganze Arbeit geleistet: Die Auswahlmöglichkeiten der ostdeutschen Verbraucher waren quasi über Nacht revolutioniert.

2. Phase: der osten kehrt zurück ins regal

Doch die konsumatorische West-Phase nahm überraschend schnell ein Ende und die Rückkehr der Ostmarken erfolgte. Wissenschaftler sprechen von einem Zeitraum von einem bis drei Jahren (abhängig von unterschiedlichen Produktgruppen). Dies erscheint deutlich unvermittelter, als die meisten Manager ahnten: Nach dem vorherrschenden Marketingcredo lassen sich Kaufpräferenzen von Menschen durch die geeigneten Marketing-Tools beliebig steuern. Unter dem massiven Werbedruck solventer Westmarken hätten sich demnach alle diese Anbieter im Osten beständig stabilisieren müssen. Das taten sie aber nicht im erwünschten Maße. Warum? Weil Warenmärkte immer Kulturmärkte sind.

Unter dem soziologischen Blickwinkel wird deutlich, dass hier kollektive Beharrungskräfte wirkten: Das schier unüberschaubare – und nicht wie im Westen über Jahrzehnte erlernte – Warenangebot verschärfte die Desorientierung in einem Land, in dem innerhalb kürzester Zeit sämtliche gesellschaftlichen Konstanten zur Disposition standen. Hier bot das unerschöpfliche Angebot keine Orientierung, sondern allenfalls Verwirrung in einer Epoche, die per se von übergreifender Verwirrung geprägt war.

Made in gdr: Erinnerung schafft vertrauen und Gefallen

Der ebenso abrupt eingetretene Vertrauensschwund in alles Westliche führte in vielen Bereichen zu einem Rückgriff auf Bewährtes: „Made in GDR“, wie zuvor die für den Export bestimmten Eigenprodukte gekennzeichnet waren, wurde posthum zu einem unsichtbaren Vertrauenssiegel auf dem Gebiet der neuen Bundesländer. Eben noch naiv gezeichnete Fossilien eines untergegangenen maroden Systems, kamen der Leistung und dem Geschmack der gerade noch verpönten Produkte eine zuvor nie geahnte Bedeutung zu: Der Osten denkt, schmeckt und kauft anders! Die Markensoziologin Annika Postler beschreibt die zugrundeliegende Dynamik folgendermaßen: „Es zeigt sich damit in der Retrospektive, dass selbst zunächst ungeliebte, aus Nutzenkalkül erworbene Produkte über die Zeit Gefallen finden und im Gebrauch Gewöhnung und Erinnerung entstehen lassen. Die gewachsene Verbindung mit dem Ding, seine Geräusche, Düfte, sein Geschmack, sein Äußeres fügen sich schließlich nahezu unverzichtbar und unausweichlich in vorhandene Dingkonstellationen ein.“ (Sobornost: Markenführung in Russland. In: Jahrbuch Markentechnik 2000/2001)

Die Wiederauferstehung der Ostprodukte, die Rückkehr der Ostmarken, ist nicht verwunderlich in Anbetracht einer über 40 Jahre lang gewachsenen, eigenständigen Konsum- und Alltagskultur. Diese Erkenntnis verdichtete sich jedoch erst einige Jahre später zum marktwirtschaftlichen Allgemeingut und wurde schließlich dreizehn Jahre nach der Wende in dem Film „Good-bye Lenin“ medial und massentauglich thematisiert.

Arnd Zschiesche erklärt im NDR-Interview die Faszination und besondere Rolle der Ostmarken als kollektive Identifikationsträger.

Der ganze NDR-Beitrag über Ostmarken: Ostprodukte im Trend: Was ist das Besondere? 

Das Standardwerk zur Waren- und Markenrevolution Ost: Erfolgsgeheimnis Ost: Survival-Strategien der besten Marken (Springer Gabler Wiesbaden)

Das umfassendste Buch zum Thema Ostmarken: Erfolgsgeheimnis Ost: Survival Strategien der besten Marken. Der vorliegende Text ist ein Auszug daraus. 

Zwischen CSR und Nachhaltigkeit – Grüne Markenführung als Strategie

1. Bioladen Deutschlands: Peace Food in Berlin im Jahre 1971. Photo: Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 Nr. 0159684

Grüne Begriffs- und Artenvielfalt

Unter dem Begriff „Grün“ scheint heute ein Vielerlei unterschiedlicher Vorstellungen zu existieren. Die Farbe steht diffus für: Gut zur Umwelt, zu den Pflanzen und Tieren. Und: Darauf bedacht, die Umwelt möglichst wenig zu belasten. Was genau das impliziert, bleibt strittig. Sicher, auch große Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten „grüne Markenpolitik“ betrieben und maßgeblich zur verstärkten Durchsetzung umwelt- und menschenfreundlicher Technologien und Herstellungsmethoden beigetragen. Und doch offenbart eine zuvor unternommene Zusammenstellung äußerst unterschiedlicher „grüner“ Firmen die große Spannbreite nachhaltiger Markenpolitik. Das Problem: Wenn heute mit grün, ökologisch oder nachhaltig so viel Verschiedenes ausgedrückt wird, dann resultiert daraus im Effekt eben kein klares öffentliches Bild und keine eindeutige kollektive Vorstellung über den Sachverhalt Grün. Dies ist umso erstaunlicher, weil grünes Gedankengut inzwischen in der gern herbeizitierten „Mitte der Gesellschaft“ angekommen ist und zum „guten Ton“ gehört. Oftmals bleibt es langfristig auch nur beim „guten Ton“, oder wie es ein Geschäftsführer in einer Klausurtagung formulierte: „Je dicker der Nachhaltigkeitsbericht, desto mehr Dreck dahinter …“. Klar ist: Nachhaltigkeitsberichte sind immer Legitimationsschriften. Die Geschäftsführerin eines Milliardenunternehmens formulierte es einmal so: „Umweltschutz ist heute ein Hygienefaktor …“. Grüne Markenführung als Unternehmensstrategie, als ein selbstverständlicher Bestandteil der Markenführung ist etwas anderes…

Exakt die eben beschriebene Vielschichtigkeit der Vorstellungen ist Fluch und Segen zugleich. Zum einen führt die hohe Bandbreite der Vorstellungen über eine grüne Welt dazu, dass Unternehmen diesbezüglich nicht mehr tun können, was sie wollen. Die umweltgesetzlichen Regelungen der letzten 30 Jahre lassen heutzutage zumindest in Europa offiziell kaum noch Schlupflöcher für umweltschädliches Verhalten. Es ist zu einem feststellbaren institutionalisierten Kulturwandel gekommen. Umweltwirkungen sind eben nicht mehr Privat- oder Unternehmenssache, sondern müssen sich heute auch mit den sensibel geschärften Vorstellungen der Kundschaften und der Öffentlichkeit auseinandersetzen – manchmal sogar mit ungerechtfertigten Öko-Hysterien: Selbst einige der von den Medien als bösartig identifizierten Unternehmen können dem Beobachter bei einer ausufernden „Empörungswelle“ tatsächlich leidtun. Psychologisch ist dies nur noch mit einer kollektiven Verschiebung eines individuellen schlechten Gewissens an einen externen Akteur zu erklären.

Wir sind jetzt alle ein bisschen grün – weil es so “schön” gefragt ist.

Zudem macht die individuelle Bandbreite innerhalb der Vorstellungen deutlich, dass aktuell nahezu jeder von sich behaupten kann, er betreibe ein „grünes Unternehmen“. Vielleicht schon deshalb, weil es täglich Biogemüse in der Betriebskantine gibt. Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte hat offenbart, wie sehr „grüne Gedanken“ genutzt werden, um Marktvorteile zu erringen – ohne aber tatsächlich „grün“ zu agieren. In seinem kurz vor Offenlegung des Skandals erschienenen Nachhaltigkeitsbericht, schrieb VW als Zielsetzung, bis 2018 der nachhaltigste Automobilhersteller der Welt werden zu wollen. Mit der Konsequenz, das innerhalb von Generationen mühsam erarbeitete Markenvertrauen verantwortungslos aufs Spiel zu setzen. Bei asiatischen Zulieferern von europäischen Unternehmen ist es Mode, sich ein „Eco“ vor den Namen zu schreiben, das Logo grün zu färben oder zumindest ein possierliches Tierchen in die werbliche Gestaltung zu integrieren. Es ist ihnen bekannt: Das mag der europäische Einkäufer. Was man in Europa als „Greenwashing“ bezeichnet, wissen findige asiatische Unternehmer sehr gut auf ihre eigene umsatzfördernde Weise umzusetzen. Kurzum: Grün steht heute für alles und ist somit eine Nullaussage.

Da darf lautes Lachen erlaubt sein, wenn McDonald’s urplötzlich sein seit 1968 rot unterlegtes M-Logo auf grün umschaltet. Auf den Plastiktüten der Firma Tengelmann steht plötzlich „I’m green“, H&M-Manager „produzieren“ mit Selbstverständlichkeit Stanzsätze wie „Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern das Wesen von H&M“ und bieten begleitend dazu ihre in Bezug auf PR perfekt ausgeschlachtete „Conscious Exclusive Collection“ in 150 der 3500 H&M-Filialen an … ein Tröpfchen grün. Ähnliches unternimmt der öffentlich stark ob seiner „Nachhaltigkeits- und Sozialpolitik“ gebeutelte Konzern KiK: Neben Nachhaltigkeits- und Sustainability-Berichten wird ohne Ironie auf den CO2-neutralen Versand der Firmenpost hingewiesen. Auch die Umrüstung von 50 Filialen in sogenannte „Green Buildings“ (von insgesamt 3200 Filialen) soll öffentlichkeitswirksam verdeutlichen, dass die Marke einen massiven Veränderungsprozess einleitet. Gerne mag man diese Form der Argumentation als dubiose Spitzfindigkeiten abtun, aber die Diskussion um genverändertes Saatgut macht die Zielkonflikte deutlich: Ist es „grün“, wenn genverändertes Saatgut resistenter gegenüber Krankheiten wird, was zu einer Reduktion von beispielsweise Fungiziden in der Landwirtschaft führen würde?

Grünes Wunschkonzert?

Vermeintlich klar ist unter dem Label „grün“ demnach nur sehr wenig klar. Und jenes, was scheinbar klar ist, unterliegt einem beeindruckenden Vergessensdruck. Der Soziologe Joachim Radkau macht darauf aufmerksam: „Die Geschichte der Öko-Ära ist nicht nur die Geschichte einer neuen Aufklärung, nicht nur eine Wissens-, sondern auch eine Vergessensgeschichte. Viele Namen, die einst die Zukunft zu verkörpern schienen, sind heute selbst innerhalb der Öko-Szene unbekannt; zahllose Bücher, die für kurze Zeit die Menschen bewegten, sind längst im Ramsch gelandet“ (Radkau 2011, S. 614).

Geldverdienen als grünes Problem

Das gesellschaftliche Spannungsfeld scheint eigentlich geklärt und ist Teil jeder ministerialen Sonntagsrede: Ökonomie und Ökologie müssen und dürfen sich in Zeiten spürbarer Umweltschädigungen nicht ausschließen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit und doch sind gerade bei umweltbewegten Menschen immer noch Vorbehalte spürbar, sofern ein Unternehmen wirtschaftlich prosperiert, dabei aber gleichzeitig grüne Aktivitäten offensiv an die Öffentlichkeit kommuniziert. Diese Erfahrung macht auch Stefan Schulze-Hausmann. In einem Beitrag führt der Vorsitzende der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis aus:
“Wer mit Nachhaltigkeit Geld verdient, ist manchem Vertreter der reinen Lehre suspekt. Wer mit Nachhaltigkeit richtig viel Geld verdient, ist außerdem noch all jenen ein Dorn im Auge, die das auch wollen, aber nicht so schnell oder so gut sind. Die Unternehmen, denen Nachhaltigkeitsthemen gar nicht oder nur bedingt wichtig sind, haben keinerlei Interesse, Leistungen anzuerkennen, die sie selbst rückständig erscheinen lassen. Und dann sind da noch die Ressentiments der aktiven Kleinen gegen die aktiven Großen, die keinerlei Wertschätzung für deren – im Verhältnis zur Größe vermeintlich überschaubares Engagement – aufbringen können. Die Großen wiederum ignorieren die ‚minimalen‘ Schritte der Kleinen” (Schulze-Hausmann 2013, S. 46).

Grünes Vertrauen

Eine wissenschaftlich fundierte Beschäftigung mit dem Thema „Grüne Markenführung“ steht vor der Herausforderung, die eigentlichen sozialen Zusammenhänge herauszuarbeiten, die aus einer Ware oder Dienstleistung nicht nur eine Marke, sondern in diesem besonderen Falle eine grüne Marke machen. Grüne Marken sind eben nicht Ergebnis eines bestimmten grafischen Erscheinungsbildes, einer CI (Corporate Identity) oder Werbung (Nur Werber interessieren sich für Werbung). Sie entspringen nicht einer behutsam formulierten und demokratisch entwickelten Unternehmensphilosophie (interessiert niemanden, nicht einmal die relevante Kundschaft) oder einer durchdachten Kommunikationsstrategie. Sie sind Ergebnis eines sozialen Prozesses, der am Ende sicherstellt, dass Menschen kollektives Vertrauen zu einem bestimmten Namen entwickeln. Dazu muss klargestellt werden, was Menschen bewegt, einem Angebot langfristig oder gar „blind“ ihr Vertrauen zu schenken. In aller Deutlichkeit: Vertrauen entsteht in Warenmärkten nicht „irgendwie“ und nicht über die Verdeutlichung von „Vertrauen“ im Sinne schöner Bilder. Vertrauen ist ein normativer Verpflichtungszusammenhang: Es entsteht nur, wenn ein Unternehmen zusageverlässlich handelt und die prognostizierten Leistungen immer wieder konsequent einlöst. So simpel, so schwer.

Auszug aus dem Buch: Grüne Markenführung. Oliver Errichiello/Arnd Zschiesche, Springer Gabler, 2017, Wiesbaden.

Grüne Markenführung. Erfolgsfaktoren und Instrumente nachhaltiger Brands. Springer Gabler.

Weiterführende Artikel im Markenradar:

Grüne Marken – Nachhaltigkeit und Markenführung.

TEMMA – Nachhaltige Markenführung?

3. Markensoziologisches Privatissime am Büro für Markenentwicklung in Hamburg

Das Büro für Markenentwicklung lud ein zum 3. Markensoziologischen Privatissime und der Andrang brachte das kleine Hinter-“Hofbüro Eppendorf” in der Schottmüllerstrasse an seine räumliche Kapazitätsgrenze. Über dreißig alte und neue Bekannte von nah und deutlich weiter weg, versammelten sich am 12. Dezember 2019, um gemeinsam bei Rotwein (Medinet á la Hans Domizlaff) und Salzbrezeln über markensoziologische Problemstellungen zu denken und die Referenten des Abends zu erleben.

Vor dem offiziellen Beginn verlaß der Soziologe und ehemalige Lehrbeauftragte an der Universität Hamburg, Dr. Rainer Waßner einen Brief aus dem Nachlass des emigrierten, deutsch-US-amerikanischen Soziologen Rudolf Heberle (1896-1991) an Alexander Deichsel aus dem Dezember 1981. Der gebürtige Lübecker Heberle war in Kiel Student von Ferdinand Tönnies und heiratete später dessen Tochter, Franziska Tönnies. In dem handschriftlichen Brief dankt er Alexander Deichsel u.a. für seinen Einsatz um den Nachdruck der Tönnies-Schrift “Einführung in die Soziologie” (Enke-Verlag, Stuttgart) und erste Vorbereitungen, die zu einer Tönnies-Werksausgabe führen sollten. Die Gründung der Ferdinand-Tönnies-Arbeitsstelle an der Universität Hamburg im Sommersemester 1982 war der nächste offizielle Schritt, um die Erkenntnisse von Tönnies für die Gegenwart zu nutzen.

Über den örtlichen Umgang mit globaler Nachrichtenflut

Der Redakteur, Moderator, Autor und nicht zuletzt Markensoziologe Dr. Martin Busch war Impulsgeber des Abends. Das Thema des Radio-Bremen-Profis: “Selbstähnlichkeit in der Nachrichtenflut – Markensoziologische Bemerkungen zur Ordnung im vermeintlichen Chaos”. Von Original-Tonbeiträgen”live” unterstützt, zeigte er die tagtägliche Leistung von Hörfunk-Journalisten, die aus der 24/7-Nachrichtenflut “Ihre Ortsmarke” bzw. deren spezifische Interessen herausfiltern und erspüren müssen. Wie wird Selbstähnlichkeit aus Sicht des lokalen Senders sichergestellt, ist dies überhaupt möglich? Es fand eine Diskussion über die Rolle des Radios vor Ort, Stichwort “Glokalisierung”, aber auch der allgemeinen Zukunft dieses Mediums im voranschreitenden Digitalzeitalter statt. Welche Antworten hat die “Marke Hörfunk”, jenes Medium, welches 2023 bereits seinen 100. Geburtstag feiert auf die Digitalisierung? Wie soll das Radio zukünftig damit umgehen, wenn Podcasts und youtube-Videos die maßgeblichen neuen, “gelernten” Informationsquellen für nachfolgende Generationen sind?

Je mehr Globalisierung umso spezifischer der Ort

Im Anschluss klärte Professor Deichsel, Präsident der Ferdinand-Tönnies Gesellschaft Kiel, die Zuhörer über die Rolle von Herkunft, der Spezifik des Ortes in einer (scheinbar) globalisierten Welt auf: Eine Kugel ist die einzige geometrische Form, die über keinen definierten Mittelpunkt verfügt. Daher kann jeder Mensch an jedem Ort auf dieser Welt-Kugel jederzeit von sich behaupten: Hier, wo ich stehe, ist der Mittelpunkt der Welt. Und er oder sie hat damit immer recht.

Die Folgen dieses individuellen Mittelpunkt-Bewusstseins sind kontinuierlich spürbar und omnipräsent, ein kurzer Blick in die aktuelle Schlagzeilenlage genügt. Ob Donald Trump, Brexit oder Flüchtlingskrise: Überall ist die beständige Spannung zwischen der individuellen Moral des Ortes und einer global-übergeordneten Ethik spürbar. Exakt das, was Tönnies unter dem Begriff der “Öffentlichen Meinung” zusammenfasste: Eine quasi richterliche Instanz, die unparteiisch über den unzählbaren lokalen Welt-Geschehnissen und Gemeinschaften thront und sie unnachgiebig nach ihren allgemeingültigen bzw. ideeellen Maßstäben bewertet – und bei Verstößen streng verurteilt (Ferdinand Tönnies: Kritik der Öffentlichen Meinung, Berlin 1922/Erstausgabe).

Die beiden Gastgeber Professor Dr. Oliver Errichiello und Dr. Arnd Zschiesche vom Büro für Markenentwicklung schlossen den Abend mit einem großen Dank an die wesenwillig versammelte, stetig anwachsende Hamburger Denk-Gemeinschaft. Abgerundet wurde dies von der Überreichung von Original Lübecker Marzipanherzen und der “Original Markensoziologie-Grundlagenschrift” für den engagierten Bremer Gastreferenten.

Von links nach rechts: Martin Busch, Arnd Zschiesche, Alexander Deichsel, Oliver Errichiello. Photo: Yuri Borovskikh.

Alexander Deichsel erklärt seinen Zuhörern in gewohnter Art die Welt (und den Ort). Photo: Yuri Borovskikh.