Was ist Markensoziologie?

Soziologie ist die Lehre von den sozialen Bündnissen. Eine Marke ist ein soziales Bündnis. Denn Bündnisse gehen Menschen nicht nur mit Menschen ein, sondern auch mit Dingen. Diese Bündnisstruktur von Marken bildet die Grundlage der Markensoziologie. Manche dieser Bündnisse werden von uns bewusst gewählt, andere völlig unbewusst. Der starken Marke gelingt es, viele Menschen dauerhaft um ihre Leistung zu bündeln, d.h. sie investieren regelmäßig Geld in das Produkt oder die Dienstleistung. Ob Eckkneipe oder Globalkonzern: Eine Marke beginnt ihr Leben, von dem Moment an, indem sich Kundschaft bildet. Erst mit der daraus resultierenden Absatzgarantie entsteht wirtschaftliche Sicherheit beim Anbieter und somit Markenkraft. Es hat sich innerhalb einer Personengruppe Vertrauen in eine spezifische Leistung gebildet – sie teilt ein positives Vorurteil gegenüber der Markenleistung.

Leistung als Kern jeder Marke

Diese individuelle Leistung bildet den Kern jeder Marke, die daraus resultierende Anziehungskraft auf eine bestimmte Gruppe von Menschen macht deutlich: Jede Marke ist primär ein soziales Phänomen, welches betriebswirtschaftliche Auswirkungen hat. Nie umgekehrt. Jede Marke lebt davon, dass Menschen aus den unterschiedlichsten Beweggründen bereit sind, für ihre Leistung Geld auszugeben. Die Beweggründe sind höchst unterschiedlich: Hoher Preis, niedriger Preis, Prestige, Ablehnung von Prestige Design, etc. Entscheidend ist: Die Gründe dafür liegen allein in der Leistung der Marke begründet. Die Markensoziologie interessiert sich daher ausschließlich für die konkreten Ursachen des Markenerfolges und analysiert sie. Der soziologische Zugriff legt den Blick auf die sozialen Mechanismen und Muster frei, die hinter jeder erfolgreichen Marke wirken und macht diese individuellen „Erfolgsbausteine“ konkret und somit operabel für das Management.

Marke bündelt umfassende Strukturen zu einer Einheit

Eine starke Marke zeichnet sich dadurch aus, dass sie komplexe soziale Strukturen – Leistungen, Produkte, Menschen, Orte – in eine stimmige Einheit verwandelt, die von außen und innen als solche wahrgenommen wird: Die Menschen sprechen von Microsoft, von Nivea oder vom Hotel Vier Jahreszeiten als wären es Einzelpersonen, obwohl tausende oder hunderte Personen hinter diesen Namen stehen. Aus vielen Einzelhandlungen über die Zeit hat sich ein übergeordnetes Muster – markensoziologisch ein Gestaltsystem – entwickelt. Die Tatsache, dass jede Marke ein eigenes System mit eigenen Regeln und eigener Geschichte ist, macht deutlich, dass eine Marke nur aus sich selbst heraus verstanden und geführt werden kann. Die soziologische Analyse von Markensystemen zeigt, dass die Wirkmechanismen und Anziehungskräfte von Marken den immer gleich bleibenden Verhaltenmustern des menschlichen Miteinanders folgen. Dies hat den Vorteil, dass sie für die Markenführung instrumentalisiert werden können. Dauerhafte Wertschöpfung ist nur über kontinuierliche Reproduktion und typische Fortentwicklung der eigenen Leistung möglich (siehe: Selbstähnlichkeit).

Professor Dr. Alexander Deichsel an der Universität Hamburg Hörsaal M (wie Marke)
Professor Dr. Alexander Deichsel an der Universität Hamburg Hörsaal M (wie Marke)

Als Begründer der Markensoziologie gilt Professor Dr. Alexander Deichsel. Anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelte er seit den 1980er Jahren an der Universität Hamburg eine Führungslehre, die gezielt soziologische Gesetzmäßigkeiten einsetzt, um gewünschte Wirkungen innerhalb der Kundschaft zu erzielen und öffentliches Vertrauen in eine Leistung zu gewinnen.

Literatur:

Deichsel, Alexander: Markensoziologie. Frankfurt am Main: Deutscher Fachverlag, 2004 (2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2006).

Komplett überarbeitet und 2017 neu bei Springer Gabler erschienen:

Grundlagen der Markensoziologie. Die sozialen Prinzipien von Markenbildung und -führung in Theorie und Praxis.

Das Standardwerk für wissenschaftliche Markenführung.

Errichiello, Oliver: Markensoziologische Werbung, Wiesbaden: Springer Gabler, 2013.

Zschiesche, Arnd: Ein Positives Vorurteil Deutschland gegenüber/Mercedes-Benz als Gestaltsystem: Ein markensoziologischer Beitrag zur Vorurteilsforschung, Wien/Zürich: LIT Verlag, 2007.

TEMMA – Nachhaltige Markenführung?

Ein TEMMA-Biosupermarkt ist schön: Die VerkäuferInnen wurden umfangreich im Rudolf-Steiner-Haus gecastet (“Wir wollen echte Persönlichkeiten.”) und tragen ein handschriftliches Namensschild aus Holz, die Inneneinrichtung ist hip-puristisch, die angebotenen Produkte sind liebenswert inszeniert … alles ist gut, alles ist grün.

Und doch: Wenn es einem Biosupermarkt gelingt im “stuckbelasteten” Hamburg-Eppendorf in bester Lager eine zweistöckige Immobilie anzubieten, kommt man schon ins Trudeln: Wer kann sich das leisten? Ein gut ausgestattetes Start-Up mit Investoren aus den USA oder ein engagierter Mäzen, der die Welt verändern will? Klar ist das nicht, denn die Herkunft offenbart sich nicht auf den ersten Blick, sondern erst “ganz unten”, ganz klein auf den einschlägigen Informationskanälen (Internet, Prospekte): “REWE MARKT GMBH, Domstraße 20, 50668 Köln”.

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Was bedeutet Selbstähnlichkeit?

Selbstähnlichkeit ist das Erfolgsprinzip aller lebenden Systeme und ein Schlüsselinhalt der Markensoziologie. Es ist das Gegenteil einer identischen Reproduktion, d. h. der Wiederholung des Immergleichen. Beispiel: Seit 1974 baut das Unternehmen Volkswagen einen Golf. Seit mehr als 40 Jahren rollt jedoch nicht der identische Golf vom Band, sondern die Marke hat  innerhalb einer Anpassung an die Erfordernisse der Zeit, bestimmte Aspekte integriert ohne aber essentielle Erfolgsbausteine der Marke aufzugeben – bspw. eine typische Form des Designs, der Sicherheitstechnik, der Innenausstattung. Auf diese Weise wird die Marke Golf niemals alt, ist dabei aber gleichzeitig im Auftritt niemals beliebig. Passt sich ein System unkontrolliert den Außensignalen an, so verliert es eben das, was es zur Marke macht: Einmaligkeit und damit Besonderheit. Die Marke Golf hat es durch ihre besondere Leistung in diesem Bereich geschafft, das heute von der “Kompaktwagenklasse” oftmals als “Golf-Klasse” gesprochen wird, d.h. in einem stark umkämpften Segment setzt der Golf den (Marken-)Maßstab. Dies ist allerdings nur der externe Eindruck ohne Analyse: Um eine vollständige Überprüfung durchzuführen, müsste zunächst das Erfolgsprofil bzw. der genetische Code der Marke Golf vorliegen. Es müsste z.B. Fragen nachgegangen werden, wie: Kann jemand, der sich im Jahre 1974 einen Golf leisten konnte, im Jahr 2015 einen VW Golf kaufen? Eine Überprüfung auf Selbstähnlichkeit umfasst sämtliche Leistungsbereiche des Unternehmens, die für die Kundschaft erfahrbar sind.

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Heino, Ehrmann, Edeka – Marketing-Anbiederungsstrategien

Seinen Ursprung nahm der Hype um Heino mit seinem 2013 erschienenen Album “Mit freundlichen Grüßen”. Was ihm bis dato in seiner über 50-jährigen Musikerkarriere nicht gelungen war, geschah mit rockigen Coversongs: Platz 1 der deutschen Charts. Heino und sein Management (vielleicht auch eine gute Markenberatung) hatten genial eine markensoziologische Strategie angewandt: Nichts fasziniert Menschen mehr als Wunder. Und es war ein Wunder, dass ein “Volksmusiker”, der mit Altenheim, Kaffeeklatsch und Häkeldeckchen in Verbindung gebracht wurde, nunmehr Rammstein und die Toten Hosen – durchaus eingängig – interpretierte. Die Markensoziologie bezeichnet in der Markenführung solche Zusammenhänge als Wunderstrukturen: An einem Punkt werden Gegensätze vereint. Die Kulturgeschichte ist angefüllt damit: Eine Jungfrau, die ein Kind bekommt. Eine  Tiergestalt mit Menschenkopf oder – etwas profaner – ein Schuh mit Löchern (Geox). Wunder haben schon immer Menschen fasziniert, weil sie Gegebenheiten “auf den Kopf” stellen und aus dem Einerlei herausstechen. Um zu funktionieren, um zu begeistern, dürfen sie allerdings nicht “Standard” werden, pure Normalität.

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Forsch und nichts dahinter – Wie sich die Markenberatungsbranche selbst zerlegt

Die eigentliche Leistung der Markenberatungsbranche in den vergangenen Jahren ist, dass es sie überhaupt noch gibt. Wer sich ernsthaft mit dem Thema Markenmanagement beschäftigt, dem fällt nicht nur auf, dass jeder Mensch, der jemals einen Supermarkt besucht hat von sich selbst behauptet, er sei Markenexperte. Meist war er einige Jahre „Brand Manager“ oder „Brand Strategist“  bei einem „namenhaften Markenartikler“ und wurde irgendwann mit einer saftigen Abfindung nach Hause geschickt. Um seine Expertise in Zeiten einer unumstösslichen Wissenschaftshörigkeit zu manifestieren, zaubert man sich schnell noch ein „Analyseinstrument“, ein „Markenwerkzeug“, ein „Tool“ aus den herumliegenden BWL-Büchern (oder aber man „kooperiert“ mit einer anerkannten amerikanischen Marketing-Größe) und geriert sich so, als habe man nun tatsächlich DAS Programm entdeckt, welches es erlaubt, eine Marke absolut wissenschaftlich und erfolgreich zu führen. Mumpitz.

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Citroën Markenführung gaga

Die Marke Citroën besitzt eine große Historie im Automobilbau. Die bekanntesten Beiträge der Marke sind bereits einige Jahre her, doch das Kollektivgedächtnis hat Namen wie die berühmte “Ente” bzw. den “2CV“, die sog. “Gangsterlimousine” (Modellbez.: Traction Avant), den Lieferwagen HY, der heute alle gutbürgerlichen Märkte als Crêpeverkaufsstand oder fahrendes Caféhaus ziert, das Sportcoupé SM oder den Citroën CX, abgespeichert. Sowohl von der Technik als auch vom Design her, ist “die Göttin”, der Citroën DS (La Déesse – frz. die Göttin), das wohl bahnbrechendste Auto der Marke gewesen. Bei Präsentation des Fahrzeuges im Jahr 1955 auf dem Pariser Automobilsalon stellte es sowohl von der Technik als auch vom Design alles bisher Dagewesene in den Schatten: Von der Hydropneumatik genannten Luftfederung, hydraulischer Lenkunterstützung, dem Innenraumdesign und der revolutionären Linienführung des Autos, es gab etliche brillante Novitäten rund um die DS. Bis heute ist die Göttin ein beliebtes Oldtimer-Fahrzeug nicht nur unter schwarzbebrillten frankophilen Auto-Enthusiasten oft mit höherer Schulbildung und/oder Designaffinität. Selbst in den USA und Kanada sieht man heute noch einige Botschafter einstiger Größe französischer Automobilbaukunst, jedes Citroën-Oberklasse-Nachfolgemodell musste sich mit dieser Ikone vergleichen lassen. Der Philosoph Roland Barthes setzte der DS 1957 ein Denkmal mit seinem Aufsatz “Der neue Citroën”. Und bis heute hat es wohl kein einziger Journalist vermocht, einen Artikel, in dem dieses Auto vorkam ohne Nennung des Begriffes “Avantgarde” zu schreiben.

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Eames im McDonalds

Zu jedem gefühlten Akademiker gehören neben der Nickelbrille, einem ZEIT-Abo, einer Altbauwohnung in den angesagten Stadtteilen deutscher Metropolen, einem alten Volvo oder Saab, dem Deutschlandfunk im Radio auch die klassischen Eames Plastic Side Chairs, die von dem Designerimpressario-Ehepaar Ray and Charles Eames 1951 entworfen wurden. Heute findet sich dieser Stuhl im Eingangsbereich jeder halbwegs hippen Werbeagentur und ist Teil so mancher Designausstellung. Der Soziologe erkennt in dem vorhergehenden Gestaltungsstakkato den Wunsch moderner Menschen, sich durch ihre konsumatorischen und damit stilistischen Entscheidungen sozial klar zu positionieren … man spricht von “Distinktion”: “Ich kaufe xy, damit Du mich als besonders z oder y positionierst.” Diese Distinktion darf ruhig etwas kosten: Der schicke Stuhl aus dem Hause VITRA ruft 321 EUR auf und wird ausschließlich von ausgewählten Händlern vertrieben. Was aber, wenn das sitzgeprüfte gute Stück plötzlich in artfremden Umfeld zu sehen ist?

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Marke absurd: Lancia Thema ist ein Chrysler 300 C

Die Marke Lancia ist eine italienische Traditionsmarke (seit 1906), die innerhalb der Marken des Fiat-Konzerns durch besonders extravagantes Fahrzeugdesign besticht. Lancia Thesis, Lancia Musa oder Lancia Ypsilon sind junge Beispiele für ein Fahrzeugdesign, welches von der Karosserieform bis zu den verwendeten Materialien im Innenraum für italienischen Stil, Handwerkskunst und eine avantgardistische Linienführung steht. Bei Lancia gab es feines Leder und luxuriöse Innenausstattungen für Kleinstwagen, lange bevor andere Hersteller solche Ideen hatten. Die US-Traditionsmarke Chrysler existiert seit 1925 und ist in Europa vor der medienträchtigen Fusion mit Daimler-Benz (jetzt Daimler) nur durch den Minivan Chrysler Voyager positiv aufgefallen – ein Fahrzeug-Segment, welches Chrysler in den 1980er Jahren maßgeblich mitbegründete (gemeinsam mit Renault). Seit 2009 gehören Chrysler und die Fiat-Gruppe zusammen, Fiat hat die Mehrheit an der Chrysler Group übernommen. Die schwächelnden Marken Chrysler und Lancia werden als direkte Folge davon zusammengelegt, die Marke Chrysler wird seit Juni/Juli 2011 offiziell nicht mehr in Europa verkauft (die erfolgreichere Chrysler-Marke Jeep bleibt dagegen bestehen).

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