Dass Brandmanagement Detailarbeit ist, beweisen erfolgreiche Unternehmen immer wieder: Dabei ist es erstaunlich, dass bei dem Versuch das “merkwürdige Wesen Marke” fassbar zu machen immer noch viele vermeintliche Markenprofis und Markenberater glauben, dass man eine Marke über ihr Design, ihre Corporate Identity und ein entsprechendes Manual festschreiben könnte. Derartige Bemühungen das Wesen eines Unternehmens zu erfassen und für deren Verhalten, Ausgestaltung und Kommunikation übergreifende Regeln zu erlassen, werden begleitet von dem Wunsch “unverwechselbar” zu sein. Das Problem bei derlei Bemühungen ist zum einen, dass diese “Festschreibungen” meist das Marketingfeld nicht verlassen, also nur einen Aspekt der Markengestalt umfassen … zum anderen aber sind Marken immer “lebende Systeme” während CI-Richtlinien “mechanisch” Verhalten vorgeben.
Marken überleben allerdings nicht lange Zeiträume, wenn sie einfach nur ihre Leistung immer gleich reproduzieren. Ein VW-Golf aus dem Jahr 1974 hätte heute auf dem deutschen Markt keinerlei Absatzchance (und würde noch nicht einmal eine Betriebserlaubnis bekommen) allerdings hat die Marke ihre spezifisches Erfolgsmuster, ihren genetischen Code, beibehalten. Ein VW-Golf ist auch im Jahr 2015 noch als VW-Golf erkennbar, weil die typischen Leistungsmerkmale beibehalten und weiterentwickelt wurden. Diese Anpassungsfähigkeit, dieses reagieren auf die Umwelt, ist keine Marketingerfindung, sondern das Erfolgsprinzip der Natur: Eine Eiche passt sich den jeweiligen Umweltbedingungen an, ohne ihre Gestalt aufzugeben: Kein Blatt eines Eichenbaums gleicht dem anderen und doch ist jedes Blatt als Eichenblatt erkennbar.
Erfolgreich mit Selbstähnlichkeit
Wohin man schaut befindet sich immer alles in ständiger Bewegung. Und doch scheint es für die persönliche Betrachtung so, als hätte man es immer wieder mit denselben Dingen zu tun. Man betrachte nur seine Tageszeitung: Jeden Tag neu, ist sie doch immer wieder als “meine” Zeitung erkennbar. Gerd Binnig, Nobelpreisträger für Biologie hat festgestellt, dass dieser evolutive Prozess dadurch gekennzeichnet ist, dass es bei lebenden Systemen niemals eine 100%ige-Reproduktion gibt, da ansonsten nicht auf Entwicklungen von aussen reagieren werden kann. Kurzum: Lebende Systeme (und Marken sind lebende Systeme) entwickeln sich niemals identisch, sondern ausschließlich selbstähnlich weiter. Die Aufgabe einer starken und wertschöpfungsoprientierten Marke ist es, die sich ständig verändernde Umwelt, die mannigfaltigen Kundenwünsche, das Know-how von Mitarbeitern so zu ordnen und zu integrieren, dass eine vertraute Gestalt erhalten bleibt. Dies heisst, dass auch das Tagesgeschäft stimmig zu den historischen Leistungen agieren muss. Zusammengefasst: Starke Marken handeln immer gleich anders! Aus diesem Grund sind Marken hochkomplexe Leistungssysteme: Ein Unternehmen wird durch bestimmte, selbstähnliche Leistungen für die Kundschaft erfahrbar, diese nimmt die Kundschaft wahr, stärkt das positive Vorurteil hinsichtlich eines Markennamens und lenken die Kaufentscheidung, welche der Marke das benötigte Geld zukommen lassen.
Marketingsprofis können lernen
Als ein besonders eingängiges Beispiel für eine beeindruckend durchdachte Markenentwicklung auf Basis von Selbstähnlichkeit kann die Mecklenburger Marke Karls gelten. Als Scheunenverkauf an der Bundesstrasse 105 begonnen, gilt der Marken- und Unternehmensgründer und gelernte Obstbauer Robert Dahl, heute als “Erdbeerkönig von Mecklenburg”. 1,5 Millionen Erdbeermarmeladegläser werden jährlich produziert und über die fünf Erlebnishöfe (Besucheranzahl 1,2 Millionen) und mehrere Hundert Erdbeerhäuschen (vor allem in und um Berlin) angeboten – die Anzahl der verkauften Schälchen mit Erdbeeren geht in die Millionen. Die einzigartige Entwicklung des Unternehmens von einem Erdbeerlieferanten zum Erlebnishof-Macher von dem sog. Marketingprofis nur lernen könnten, ist inzwischen Thema für Fachmagazine. An Karls zeigt sich eindrucksvoll wie wichtig es ist, nicht sog. “Branchenregeln” zu folgen, sondern “Branchenregeln” zu setzen. Das Erfolgsphänomen “Karls” wird auch dann besonders interessant, wenn man das Marken-Management unter dem Erfolgsfaktor “Selbstähnlichkeit” betrachtet. Interessant ist nämlich, dass “Karls” zwar inzwischen wahrhaftige “Erlebnisparks” sind, der Kern der Marke, die Erdbeere, aber weiterhin Dreh- und Angelpunkt der Leistung- und Kommunikationspolitik ist. Indem Karls also all sein Tun mit der Erdbeere verknüpft, schafft es sich eine eigene Kategorie und wird unvergleichbar … eine Markenpolitik, die ansonsten nur ein globales Unternehmen wie Ferrero verfolgt (das italienische Unternehmen agiert niemals in bestehenden Produktkategorien, sondern “erfindet” immer wieder neue Aktionsfelder).
Den genetischen Markencode kennen
Die Erfahrung zeigt, dass selbstähnliche Marken höchste Anziehungskraft ausüben. Erst der Rückgriff auf dieses Prinzip kann Kundschaften mit einem klaren Bild über die Marke ausstatten. Selbstähnliche Markenführung bedeutet, dass sich konkrete Leistungsinhalte, die sich dauerhaft als wirtschaftlich erfolgreich erwiesen haben, reproduziert werden. Das Unternehmen muss dazu allerdings die strukturbestimmenden Regeln, seinen genetischen Code kennen. Dabei hilft der Rückgriff auf die typischen weichen “Markenkern-Definitionen” im Sinne von “Qualitativ”, “Kreativ” oder “Familiär” mit zunehmender Größe des Unternehmens wenig, da sie keine klaren Handlungsparameter vorgeben: Marke ist immer konkret und wird von den Menschen auch so wahrgenommen (“Familiär” kann u.a. konkret bedeuten, dass ich für viele Fahrgeschäfte bei Karls keinen Eintritt bezahle …). Vor diesem Hintergrund: Starke Marken kennzeichnet Konsistenz und Erwartbarkeit in allen Bereichen. Karls zeigt den Großen wie es richtig funktioniert.