Die Marke Citroën besitzt eine große Historie im Automobilbau. Die bekanntesten Beiträge der Marke sind bereits einige Jahre her, doch das Kollektivgedächtnis hat Namen wie die berühmte “Ente” bzw. den “2CV“, die sog. “Gangsterlimousine” (Modellbez.: Traction Avant), den Lieferwagen HY, der heute alle gutbürgerlichen Märkte als Crêpeverkaufsstand oder fahrendes Caféhaus ziert, das Sportcoupé SM oder den Citroën CX, abgespeichert. Sowohl von der Technik als auch vom Design her, ist “die Göttin”, der Citroën DS (La Déesse – frz. die Göttin), das wohl bahnbrechendste Auto der Marke gewesen. Bei Präsentation des Fahrzeuges im Jahr 1955 auf dem Pariser Automobilsalon stellte es sowohl von der Technik als auch vom Design alles bisher Dagewesene in den Schatten: Von der Hydropneumatik genannten Luftfederung, hydraulischer Lenkunterstützung, dem Innenraumdesign und der revolutionären Linienführung des Autos, es gab etliche brillante Novitäten rund um die DS. Bis heute ist die Göttin ein beliebtes Oldtimer-Fahrzeug nicht nur unter schwarzbebrillten frankophilen Auto-Enthusiasten oft mit höherer Schulbildung und/oder Designaffinität. Selbst in den USA und Kanada sieht man heute noch einige Botschafter einstiger Größe französischer Automobilbaukunst, jedes Citroën-Oberklasse-Nachfolgemodell musste sich mit dieser Ikone vergleichen lassen. Der Philosoph Roland Barthes setzte der DS 1957 ein Denkmal mit seinem Aufsatz “Der neue Citroën”. Und bis heute hat es wohl kein einziger Journalist vermocht, einen Artikel, in dem dieses Auto vorkam ohne Nennung des Begriffes “Avantgarde” zu schreiben.
Was hat das alles mit Citroën heute zu tun? Wahlweise lautet die Antwort “sehr viel” oder “leider gar nichts”. Was ist passiert? Eine markensoziologische Binsenweisheit lautet, dass Marken stets von innen zerstört werden – Marken-Niedergänge sind meist Folgen von Missmanagement: Entweder weil die Marke nicht verstanden wurde oder einfach nur weil ein populärer Markenname für schnelles Geld genutzt werden sollte, ohne irgendwelche Rücksicht auf langfristige Verluste. Es fing damit an, dass die Marke Citroën im Jahre 2010 einen lifestyligen Kleinwagen mit diesem Namen “auszeichnete”, den DS3. Marken sind positive Vorurteile: die Buchstabenkombination DS besitzt dank der einmaligen Vorleistung der Marke ein sehr starkes positives Vorurteil – jedoch bezieht sich dieses Vorurteil keineswegs auf einen Kleinwagen, sondern um eine Oberklasse-Limousine, die den Automobilmarkt komplett revolutionierte. Markenwertvernichtung von innen. Man benutzt einen großen Namen aus dem eigenen Fundus, um einen Kleinwagen zu vermarkten – dabei hat Citroën selbst mal einen der berühmtesten Nonkonformisten-Kleinwagen der Welt gebaut. Die verrückte Idee dahinter: Die unter der DS abgespeicherten sozialen Energien übertragen sich einfach so auf einen Kleinwagen, nur weil dieser genau so heißt. Nichts an diesem Fahrzeug erinnert an eine DS. Dahinter steckt der Irrglaube, dass Marke nur ein Name sei und keine mit einem Namen untrennbar verpolte wie definierte Leistung. Würde Mercedes auf ein A-Klasse-Fahrzeug den Schriftzug S-Klasse setzen, um diesen Wagen besser zu verkaufen? Hoffentlich nicht.
Doch dieses wirtschaftsschädigende Vorgehen lässt sich tatsächlich toppen: Im Oktober 2014 verkündet Citroën, dass DS jetzt eine eigene Webpräsenz bekommt und zu einer eigenständigen Marke aufgebaut wird. Mit der avantgardistisch anmutenden Autostudie DIVINE DS stellt die Marke ein Auto vor, dass sämtliche Innovationsleistungen der neuen Marke in sich tragen soll. Der Generaldirektor der Marke DS Yves Bonnefont verkündet: “Der Divine ist das Spiegelbild unseres Know-hows. Durch das perfekte Zusammenspiel von Raffinesse und Technologie verkörpert dieses Concept-Car das, was DS ist und sein wird.” Die Marke Citroën nutzt also einen ihrer stärksten sozial verankerten Begriffe, der gleichbedeutend ist mit wegweisender Technologie und einmaligem Design und stellt folgerichtig ein Konzeptfahrzeug vor, welches über avantgardistische Technik etc. verfügt. Super. Toll. Nur koppelt man jetzt diese Leistung komplett von der Urmarke ab. Anstatt das positive Vorurteil über die Marke Citroën neu zu befeuern, koppelt man den maßgeblichen Technologieträger von der dazugehörigen Marke ab. Einzig möglicher Grund: Das Management traut der Marke Citroën nicht (mehr) zu, unter ihrem eigenen Namen ein wegweisendes Automobil zu bauen. Was für ein Unverständnis dafür, dass Marken soziale Energien sind – Energien mit denen höchst sensibel umgegangen werden muss. Hier zerspaltet eine Marke ihr eigenes positives Vorurteil und lässt kostenlose Schubkräfte bewusst liegen. Jede Marke lebt auch im Tagesgeschäft 2014 von ihrer individuellen Leistungsgeschichte, diese Geschichte lässt sich nicht künstlich umschreiben. Die arme Göttin wurde erst zum lifestyligen Kleinwagen degradiert und dann – als sie gerade dabei war, ein wenig Selbstfindung zu betreiben – von ihren Leuten aus dem eigenen Marken-Olymp geworfen…