Die letzten Zahlen stammen aus dem Jahr 2011: Bis dahin hatte das Unternehmen Panini S.p.A. aus Modena seit der Gründung 1961 25 Milliarden gedruckte Sticker produziert und verkauft … es gibt keinen Anbieter der auch nur im Ansatz mithalten könnte und in über 100 Ländern seine Klebebilder verkauft.
Die neuesten Nachrichten in Rahmen der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich vermelden, dass insg. 1 Milliarde Sickertüten mit jeweils fünf Kärtchen für 70 Länder produziert wurden, dabei würde zu einer Europameisterschaft nur ca. die Hälfte der Mengen einer Fußball-Weltmeisterschaft hergestellt. Keine Frage: Panini ist eine starke Marke, die im Geschäftsjahr 2014 einen Gesamtumsatz von 637 Millionen Euro erwirtschaftete und welchem die italienische Post eine eigene Briefmarke widmete. Dabei kennzeichnet das Unternehmen in den 55 Jahren seines Bestehens, dass der Markterfolg in keiner Weise vorgezeichnet war und auch Jahrzehnte benötigte – ganz im Gegensatz zu der heute verbreiteten Marketingmeinung, man könne Marken mit einem entsprechenden Marketingbudget “mal schnell” über Nacht konstruieren.
Wie entstand Panini?
Gründungsmythos ist, dass die Brüder Benito und Giuseppe Panini, die in Modena in der Nähe des Doms seit 1954 einen Grossohandel für Zeitschriften sowie einen angeschlossenen Kiosk betrieben, 1960 eine unverkäufliche Charge von Fußballfotostickern der Firma Nannina aus Mailand übernahmen, sie – persönlich – in kleine, weiße Tütchen mit roten Rändern verpackten und für 10 Lire pro Tütchen in Modena verkauften. Insg. kamen sie in den ersten zwei Jahren auf 3 Millionen Tütchen … ein Jahr später wurde das erste Sammelalbum gedruckt “Calciatori” (ital. für “Fußballer”) und die Produktion der Sticker selbst übernommen. Schon bald verkauften sich 15 Millionen Tütchen. In den ersten Jahren waren die Bilder nicht selbstklebend und mussten eigenständig mit Klebe versehen werden – die ersten selbstklebenden Sticker kamen gemeinsam mit den ersten glitzernden Aufklebern (“Glitzis”) 1967 auf den Markt (die ersten Textil-, d.h. Jeanssticker erscheinen 1978). Auch interessant: Die ersten Bilder waren meist schwarz/weiß-Aufnahmen die nachträglich handkoloriert und gedruckt wurden. In den Folgejahren erweiterte Panini sein Angebot nun auch um Magazine und Almanache, die die “Fußballthematik” aufgriffen. In Deutschland erschein 1974 das erste Sammelalbum zur Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land und war von Beginn an ein sehr großer Erfolg.
Der genetische Code wird nicht mehr umgesetzt
Bis 1988 befand sich das Unternehmen in Familienbesitz und wurde schließlich an die Maxwell-Gruppe des Briten Robert Maxwell verkauft, die ad hoc ein neues Management installierte, dass keinerlei Ahnung und Interesse am genetischen Code, d.h. dem geschichtlich fundierten Erfolgsprofil der Marke Panini hatte und eine zweifelhafte Strategie betrieb, die ihre Niederschrift aufgrund der nicht nachvollziehbaren Ausprägungen in einem Roman (siehe auch das in italienischer Sprache erscheinen Buch “Managermakia” von Maurizio Boschini) fand: Der Australier Keith Bales, der von sich selbst sagte, das eigentliche Produkt von Panini, die Sticker, “zu hassen”, hatte die Aufgabe Panini zu modernisieren … seine Ideen: Selbstleuchtende Sticker, Sammelalben zum den Themen Kamasutra bzw. zu den “Prostituierten in Paris” (!!!) sowie kleine Sammelfiguren, die in Brote eingebacken werden sollten (basierend auf dem Wortspiel “Panini con Panini” … im italienischen bedeutet “Panini” Brötchen …). Nach fünf Monaten hatte der Spuk ein Ende, Bales ging, die wirtschaftlichen Folgen waren verheerend … nach weiteren Verkäufen (insg. drei Besitzerwechsel: Bain Gallo, De Agostini, schließlich Marvel Entertainment Group) wurde das Unternehmen 1999 wieder italienisch und fokussierte erneute auf seine Kernkompetenzen.
Nach Angaben des Vertriebsdirektors Italien, Antonio Allegra entfällt ca. 50% des Umsatzes nunmehr auf die Sticker, während Panini über klassische Verlagstätigkeiten, die Konzeption und den Verkauf von (Jugend-) Magazinen und Comics auch die restlichen 50% Umsatzanteil erzielt. Für die Fußball-Sticker wendet sich Panini an die Agenten der abgebildeten Spieler, die vorgegebene Informationsbögen auszufüllen haben. Dieses Vorgehen funktioniert nach Angaben von Antonio Allegra gut. Sollten die Informationen nicht zurückfließen, bedient sich Panini der eigenen Database bzw. ausgewiesener Sportjournalisten, um die benötigten Informationen zu erhalten. Schließlich fotografiert Panini die Spieler selbst (in nationalen Ligen greift sie auch machmal auf angeschlossene Fotografen zurück). Entscheidend ist, das erst fotografiert werden kann, wenn die jeweilig aktuellen Trikots vorliegen, d.h. der Sponsor ist normalerweise zu erkennen, da das offizielle Trikot verendet wird. Dabei behält sich Panini allerdings vor, den Bildausschnitt zu bestimmen.
Was ist das sozioökonomische Geheimnis des Markenerfolges von Panini?
Markensoziologisch profitiert die Marke Panini vom Komplementierungswunsch des Menschen. Zwar werden nur gut 10% aller verkauften und ausgegebenen Alben tatsächlich nahezu vervollständigt, aber zumindest führen auch die 90% Gelegenheitssammler zu signifikanten Umsätzen. Indem die Marke das menschliche Streben nutzt “Dinge in die ideale und abgeschlossene Form” zu bringen, knüpft es an übergreifende soziale Grundmuster an. Wer jemals einmal eine “Tauschbörse” zu der sich Kinder mit ihren Eltern weltweit auf den Gehwegplatten der Innenstädte kniend zusammenfinden, erahnt wie stark dieses anthropologische Impuls ist (so stark, dass man zur Komplementieren eines Albums zwischen 300-500 EUR investieren kann).
Der Markensoziologe Alexander Deichsel fasst dies unter dem Gedanken: “Nichts ist so praktisch wie das Schöne” zusammen. Denn der Mensch hat ein Bedürfnis nach Ästhetik und Stimmigkeit, weil es in die Position versetzt “frei” zu entscheiden – unabhängig von gesellschaftlichen Voraussetzungen oder Gegebenheiten, also für sich (und nur für sich selbst) zu bestimmen, was ihm zusagt oder auch nicht. Indem wir Menschen treffen, die mit uns ein ähnliches ästhetisches Urteil teilen, die gleichen Dinge schön finden, bilden wir Gemeinschaft … einen sozialen Sachverhalt, der den Menschen als Menschen, d.h. als zoon politikon über alle Kulturen und Zeitalter hinweg ausmacht und definiert. In Kombination mit einem geteilten “Sammlerschicksal” verdoppelt sich das Empfinden von Ästhetik und Gemeinschaft … gerade vor allem derartig emotionalisierten Hintergrund wie Fußball. Daher muss man sich um die Marke und ihre Zukunft keine Sorgen machen – trotz Digitalisierung – sofern sie (siehe oben) sich und ihrem Erfolgsmuster treu bleibt.