Es gibt Momente im Leben, da schämt man sich fremd. Gehäuft passiert es seit Einführung des Privatfernsehens. Meist schämt man sich für wildfremde Menschen, die ein Benehmen an den Tag legen, welches einem selbst äußerst peinlich wäre. Wer sich beruflich mit Marken auseinandersetzt, der kennt zusätzlich ein Gefühl der Scham, wenn er mit ansehen muss, was manche Menschen dem Sozial- und Wirtschaftskörper Marke antun. Marken sind die Grundlage jeder funktionierenden Volkswirtschaft, wer eine Marke bzw. ihren guten Ruf mutwillig schädigt, schädigt einen Wert, der in Euros allein nicht zu beziffern sind. Daher paart sich Scham oftmals mit einer ohnmächtigen Wut, weil für das Geld, welches z.B. in eine völlig sinnlose oder gar kontraproduktive Werbekampagne investiert wurde, ganze SOS-Kindermetropolen über Jahre problemlos aber vor allem sinnvoll finanziert werden könnten. Schreiben wir also über Jurassic Park, Pardon, Mercedes-Benz.
Neulich war es wieder soweit, Fremdschämen umringt von angriffslustigen Sauriern oder auch „Weltpremiere eines neuen Mercedes-Benz-Modells“:
Es gibt Momente, da ist auch der Markenanalytiker kurzzeitig sprachlos – weil er oder sie nicht glauben kann, was dort gerade zur besten TV-Sendezeit geschehen ist. Die älteste und wohl über lange lange Zeit renommierteste Automarke der Welt, deren Vorgängerfirma Benz 1886 das erste Auto überhaupt gebaut hat (Benz-Patent-Motorwagen) und sich gerade in den letzten Jahren schon einige Werbe-Fauxpas erlaubt hat, krönt die eigene Negativleistung, indem sie als Sponsor für einen Hollywood-Blockbuster namens Jurassic World auftritt. Super für den Film: Ein Nebendarsteller, der bereit ist, eine hohe Gage für sein Mitspielen zu zahlen. Schade nur, dass es sich dabei um die wohl nach wie vor berühmteste Automarke der Welt handelt, die sich niemals zu einem unwichtigen Nebendarsteller in einem reißerischen Actionstreifen abstempeln lassen dürfte – wenn irgendjemand an Bord irgendetwas von seriöser Markenführung verstehen würde. Marken sind keine demokratischen Systeme, starke Marken sind Sender, die sich niemals zu Nebendarstellern degradieren lassen würden. Ob in diesem Spot ein Suzuki Vitara, ein Land Rover, ein Kia Sportage, ein Mercedes-Geländewagen oder eben ein GLE Coupé herumrast ist vollkommen irrelevant.
Es ist zudem eine ungeheuerliche Missachtung der eigenen Mitarbeiter und der eigenen Arbeitsleistung: Da werkeln Mercedes-Benz-Ingenieure, Entwickler-Teams, Designer etc. insgesamt unendlich viele Menschen über Jahre an einem neuen Automodell – und dann beschließt jemand aus der Leistungsebene des Konzerns (vermutlich kein Techniker), dass die Leistung des neuen Autos völlig irrelevant ist und die neudeutsch „Awareness“ für das Fahrzeug lieber durch einen massengängigen Film produziert werden soll. Mercedes präsentiert somit zum zweiten Mal nach 1997 in einem Jurassic Park-Film (damals die erste Mercedes M-Klasse) ein neu konzipiertes Fahrzeug, das GLE-Coupé. Ergo: Die Premiere eines neuen Fahrzeuges von Mercedes-Benz ist im Jahr 2015 nicht mehr wert, dass in der Werbung über seine Leistung berichtet wird? Und zwar ausschließlich darüber? In was für einer Welt lebt diese Marke bzw. ihr Management? Hätte ein Steve Jobs die Weltpremiere eines neuen Apple-Produktes freiwillig in einen Film verlegt – und sich das Recht an der Apple-spezifischen Präsentation seiner Kreation abnehmen lassen? Die Hauptrolle grünen Riesenmonstern überlassen?
Eine Marke, die seit 1910 mehr automobile Technikinnovationen herausgebracht hat als irgendeine andere Marke der Welt, verkriecht sich im Dschungel und versteckt ihre einmaligen Leistungen hinter ausgestorbenen Riesen-Urviechern, in einer Welt, in der sie nichts zu suchen hat – jedenfalls nicht als zahlender Sponsor … so wird der Mythos Mercedes zu einer aussterbenden Spezies.
Bleibt nur dreierlei zu sagen:
- Die Autos mit Stern müssen verdammt gut sein – weil Mercedes trotz solcher Werbung immer noch so viele davon verkauft.
- Es beweist sich die markensoziologische Binsenweisheit, dass Werbung in ihrer Wirkung vollkommen überschätzt wird (dankenswerterweise).
- Marken werden immer von innen zerstört.
Markensoziologische Literatur:
Zschiesche, Arnd: Ein Positives Vorurteil Deutschland gegenüber – Mercedes-Benz als Gestaltsystem. Hamburg, 2006.