Zwischen CSR und Nachhaltigkeit – Grüne Markenführung als Strategie

1. Bioladen Deutschlands: Peace Food in Berlin im Jahre 1971. Photo: Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 Nr. 0159684

Grüne Begriffs- und Artenvielfalt

Unter dem Begriff „Grün“ scheint heute ein Vielerlei unterschiedlicher Vorstellungen zu existieren. Die Farbe steht diffus für: Gut zur Umwelt, zu den Pflanzen und Tieren. Und: Darauf bedacht, die Umwelt möglichst wenig zu belasten. Was genau das impliziert, bleibt strittig. Sicher, auch große Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten „grüne Markenpolitik“ betrieben und maßgeblich zur verstärkten Durchsetzung umwelt- und menschenfreundlicher Technologien und Herstellungsmethoden beigetragen. Und doch offenbart eine zuvor unternommene Zusammenstellung äußerst unterschiedlicher „grüner“ Firmen die große Spannbreite nachhaltiger Markenpolitik. Das Problem: Wenn heute mit grün, ökologisch oder nachhaltig so viel Verschiedenes ausgedrückt wird, dann resultiert daraus im Effekt eben kein klares öffentliches Bild und keine eindeutige kollektive Vorstellung über den Sachverhalt Grün. Dies ist umso erstaunlicher, weil grünes Gedankengut inzwischen in der gern herbeizitierten „Mitte der Gesellschaft“ angekommen ist und zum „guten Ton“ gehört. Oftmals bleibt es langfristig auch nur beim „guten Ton“, oder wie es ein Geschäftsführer in einer Klausurtagung formulierte: „Je dicker der Nachhaltigkeitsbericht, desto mehr Dreck dahinter …“. Klar ist: Nachhaltigkeitsberichte sind immer Legitimationsschriften. Die Geschäftsführerin eines Milliardenunternehmens formulierte es einmal so: „Umweltschutz ist heute ein Hygienefaktor …“. Grüne Markenführung als Unternehmensstrategie, als ein selbstverständlicher Bestandteil der Markenführung ist etwas anderes…

Exakt die eben beschriebene Vielschichtigkeit der Vorstellungen ist Fluch und Segen zugleich. Zum einen führt die hohe Bandbreite der Vorstellungen über eine grüne Welt dazu, dass Unternehmen diesbezüglich nicht mehr tun können, was sie wollen. Die umweltgesetzlichen Regelungen der letzten 30 Jahre lassen heutzutage zumindest in Europa offiziell kaum noch Schlupflöcher für umweltschädliches Verhalten. Es ist zu einem feststellbaren institutionalisierten Kulturwandel gekommen. Umweltwirkungen sind eben nicht mehr Privat- oder Unternehmenssache, sondern müssen sich heute auch mit den sensibel geschärften Vorstellungen der Kundschaften und der Öffentlichkeit auseinandersetzen – manchmal sogar mit ungerechtfertigten Öko-Hysterien: Selbst einige der von den Medien als bösartig identifizierten Unternehmen können dem Beobachter bei einer ausufernden „Empörungswelle“ tatsächlich leidtun. Psychologisch ist dies nur noch mit einer kollektiven Verschiebung eines individuellen schlechten Gewissens an einen externen Akteur zu erklären.

Wir sind jetzt alle ein bisschen grün – weil es so “schön” gefragt ist.

Zudem macht die individuelle Bandbreite innerhalb der Vorstellungen deutlich, dass aktuell nahezu jeder von sich behaupten kann, er betreibe ein „grünes Unternehmen“. Vielleicht schon deshalb, weil es täglich Biogemüse in der Betriebskantine gibt. Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte hat offenbart, wie sehr „grüne Gedanken“ genutzt werden, um Marktvorteile zu erringen – ohne aber tatsächlich „grün“ zu agieren. In seinem kurz vor Offenlegung des Skandals erschienenen Nachhaltigkeitsbericht, schrieb VW als Zielsetzung, bis 2018 der nachhaltigste Automobilhersteller der Welt werden zu wollen. Mit der Konsequenz, das innerhalb von Generationen mühsam erarbeitete Markenvertrauen verantwortungslos aufs Spiel zu setzen. Bei asiatischen Zulieferern von europäischen Unternehmen ist es Mode, sich ein „Eco“ vor den Namen zu schreiben, das Logo grün zu färben oder zumindest ein possierliches Tierchen in die werbliche Gestaltung zu integrieren. Es ist ihnen bekannt: Das mag der europäische Einkäufer. Was man in Europa als „Greenwashing“ bezeichnet, wissen findige asiatische Unternehmer sehr gut auf ihre eigene umsatzfördernde Weise umzusetzen. Kurzum: Grün steht heute für alles und ist somit eine Nullaussage.

Da darf lautes Lachen erlaubt sein, wenn McDonald’s urplötzlich sein seit 1968 rot unterlegtes M-Logo auf grün umschaltet. Auf den Plastiktüten der Firma Tengelmann steht plötzlich „I’m green“, H&M-Manager „produzieren“ mit Selbstverständlichkeit Stanzsätze wie „Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern das Wesen von H&M“ und bieten begleitend dazu ihre in Bezug auf PR perfekt ausgeschlachtete „Conscious Exclusive Collection“ in 150 der 3500 H&M-Filialen an … ein Tröpfchen grün. Ähnliches unternimmt der öffentlich stark ob seiner „Nachhaltigkeits- und Sozialpolitik“ gebeutelte Konzern KiK: Neben Nachhaltigkeits- und Sustainability-Berichten wird ohne Ironie auf den CO2-neutralen Versand der Firmenpost hingewiesen. Auch die Umrüstung von 50 Filialen in sogenannte „Green Buildings“ (von insgesamt 3200 Filialen) soll öffentlichkeitswirksam verdeutlichen, dass die Marke einen massiven Veränderungsprozess einleitet. Gerne mag man diese Form der Argumentation als dubiose Spitzfindigkeiten abtun, aber die Diskussion um genverändertes Saatgut macht die Zielkonflikte deutlich: Ist es „grün“, wenn genverändertes Saatgut resistenter gegenüber Krankheiten wird, was zu einer Reduktion von beispielsweise Fungiziden in der Landwirtschaft führen würde?

Grünes Wunschkonzert?

Vermeintlich klar ist unter dem Label „grün“ demnach nur sehr wenig klar. Und jenes, was scheinbar klar ist, unterliegt einem beeindruckenden Vergessensdruck. Der Soziologe Joachim Radkau macht darauf aufmerksam: „Die Geschichte der Öko-Ära ist nicht nur die Geschichte einer neuen Aufklärung, nicht nur eine Wissens-, sondern auch eine Vergessensgeschichte. Viele Namen, die einst die Zukunft zu verkörpern schienen, sind heute selbst innerhalb der Öko-Szene unbekannt; zahllose Bücher, die für kurze Zeit die Menschen bewegten, sind längst im Ramsch gelandet“ (Radkau 2011, S. 614).

Geldverdienen als grünes Problem

Das gesellschaftliche Spannungsfeld scheint eigentlich geklärt und ist Teil jeder ministerialen Sonntagsrede: Ökonomie und Ökologie müssen und dürfen sich in Zeiten spürbarer Umweltschädigungen nicht ausschließen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit und doch sind gerade bei umweltbewegten Menschen immer noch Vorbehalte spürbar, sofern ein Unternehmen wirtschaftlich prosperiert, dabei aber gleichzeitig grüne Aktivitäten offensiv an die Öffentlichkeit kommuniziert. Diese Erfahrung macht auch Stefan Schulze-Hausmann. In einem Beitrag führt der Vorsitzende der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis aus:
“Wer mit Nachhaltigkeit Geld verdient, ist manchem Vertreter der reinen Lehre suspekt. Wer mit Nachhaltigkeit richtig viel Geld verdient, ist außerdem noch all jenen ein Dorn im Auge, die das auch wollen, aber nicht so schnell oder so gut sind. Die Unternehmen, denen Nachhaltigkeitsthemen gar nicht oder nur bedingt wichtig sind, haben keinerlei Interesse, Leistungen anzuerkennen, die sie selbst rückständig erscheinen lassen. Und dann sind da noch die Ressentiments der aktiven Kleinen gegen die aktiven Großen, die keinerlei Wertschätzung für deren – im Verhältnis zur Größe vermeintlich überschaubares Engagement – aufbringen können. Die Großen wiederum ignorieren die ‚minimalen‘ Schritte der Kleinen” (Schulze-Hausmann 2013, S. 46).

Grünes Vertrauen

Eine wissenschaftlich fundierte Beschäftigung mit dem Thema „Grüne Markenführung“ steht vor der Herausforderung, die eigentlichen sozialen Zusammenhänge herauszuarbeiten, die aus einer Ware oder Dienstleistung nicht nur eine Marke, sondern in diesem besonderen Falle eine grüne Marke machen. Grüne Marken sind eben nicht Ergebnis eines bestimmten grafischen Erscheinungsbildes, einer CI (Corporate Identity) oder Werbung (Nur Werber interessieren sich für Werbung). Sie entspringen nicht einer behutsam formulierten und demokratisch entwickelten Unternehmensphilosophie (interessiert niemanden, nicht einmal die relevante Kundschaft) oder einer durchdachten Kommunikationsstrategie. Sie sind Ergebnis eines sozialen Prozesses, der am Ende sicherstellt, dass Menschen kollektives Vertrauen zu einem bestimmten Namen entwickeln. Dazu muss klargestellt werden, was Menschen bewegt, einem Angebot langfristig oder gar „blind“ ihr Vertrauen zu schenken. In aller Deutlichkeit: Vertrauen entsteht in Warenmärkten nicht „irgendwie“ und nicht über die Verdeutlichung von „Vertrauen“ im Sinne schöner Bilder. Vertrauen ist ein normativer Verpflichtungszusammenhang: Es entsteht nur, wenn ein Unternehmen zusageverlässlich handelt und die prognostizierten Leistungen immer wieder konsequent einlöst. So simpel, so schwer.

Auszug aus dem Buch: Grüne Markenführung. Oliver Errichiello/Arnd Zschiesche, Springer Gabler, 2017, Wiesbaden.

Grüne Markenführung. Erfolgsfaktoren und Instrumente nachhaltiger Brands. Springer Gabler.

Weiterführende Artikel im Markenradar:

Grüne Marken – Nachhaltigkeit und Markenführung.

TEMMA – Nachhaltige Markenführung?

Markenführung und Digitalisierung im Baumarkt: Arnd Zschiesche im Interview mit dem BaumarktManager

Arnd Zschiesche sitzend vor der Bücherwand in seinem Büro in Hamburg.
Arnd Zschiesche im Gespräch über Digitalisierung und Markenführung. Photo: David Goltz

Marken sollen dem Kunden Orientierung geben und besitzen demzufolge eine maßgebliche Bedeutung für den Handel. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Marken und Markenführung seien vielfältig, erklärt Dr. Arnd Zschiesche, Markensoziologe, Experte für wissenschaftliche Markenführung, im Interview mit dem DIY-Branchenmagazin “BaumarktManager”. Sicher ist für Zschiesche, der seit Jahren Jurymitglied bei der Wahl der “Produkte des Jahres” ist: Baumärkte können ihre ureigenen Marken-Leistungsmerkmale durchaus ins Digitale übertragen, langfristig müssen sie es sogar. Hinweis zur Sache: Am 27. Februar und am 26. März 2020 führt der BaumarktManager jeweils ein Webinar mit Arnd Zschiesche zum Thema Marke durch (Themen/Inhalte/Uhrzeiten siehe Hinweis unten).

Das Interview

BM: Die Digitalisierung beschäftigt Industrie und Handel seit einigen Jahren gleichermaßen. Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung Ihrer Meinung nach auf Marken?

Die Digitalisierung ist fester Bestandteil des unternehmerischen Alltags geworden. Sie tangiert nahezu jede Unternehmung in irgendeiner Form – ob lokaler Fliesenleger oder globaler Technikkonzern. Die Digitalisierung ist da, aber weil sie in all ihren Auswirkungen sicherlich noch nicht annähernd abgeschlossen oder erkannt ist, daher weiterhin unkontrollierbar erscheint, bleibt sie Thema. Und das ist aus dieser Warte auch verständlich. Jeder Unternehmer will sein Business wetterfest halten und hat Angst etwas zu verpassen, das geht jedem so. Mir persönlich übrigens auch, da sind wir Unternehmer alle gleich. 

Die Auswirkungen sind vielfältig, aber insgesamt überwiegen meines Erachtens die Chancen die Risiken eindeutig. Entscheidend für das Verständnis aus markenstrategischer Sicht ist, dass die Digitalisierung primär eine analoge Herausforderung darstellt. Denn es geht in erster Linie „nur“ darum – bewusst verkürzt dargestellt – dass ich als Unternehmen meine ureigenen Leistungen und Kompetenzen, mein Erfolgsprinzip aus der analogen Welt in möglichst typischer Art und Weise in mein digitales Angebot transferiere. Die Digitalisierung macht technisch vieles möglich, auch vieles Neues, aber sie erfindet weder den Menschen neu noch seine Bedürfnisse. Wenn ich einen Baumarkt meines Vertrauens habe, dann wird er dieses geworden sein, weil ich sein Angebot, seine Beratung, seine Lage, jedenfalls einige bestimmte und sehr konkrete Dinge an diesem Baumarkt schätze. 

BM: Und wie genau kann der Baumarkt diese Leistungsmerkmale ins Digitale übertragen?

Wenn zum Beispiel die persönliche Beratung durch bestimmte, besonders kompetente Personen ein wichtiger Pluspunkt des Marktes ist, dann wäre es eine Möglichkeit, diese Personen in „ihren“ Abteilungen auch auf der Webpräsenz des Unternehmens auftauchen und dort ebenfalls als Ansprechpartner bildhaft auftreten zu lassen. Am besten mit Durchwahl-Telefonnummer und Email-Adresse, um den Transfer in die analoge Welt sicherzustellen. Es kann auch durchaus wichtig sein, bei bestimmten Produkten und Fragestellungen ganz offensiv klar zu machen: An diesem Punkt möchten wir Ihnen vor dem Kauf dringend eine persönliche Beratung bei Frau XY empfehlen. Eine Win-Win-Situation: Der Kunde bemerkt, dass dieser Baumarkt seriös, leistungsernst und kompetent ist. Der Baumarkt baut Vertrauen auf und tritt in den persönlichen Direktkontakt mit dem Kunden. Es ist zudem einmalig, dass ihnen ein Unternehmen im Netz davon abrät, jetzt eine Kaufentscheidung zu fällen. Aber wenn es um Vertrauensaufbau versus schnelles Geschäft geht, sollte der seriös, d.h. für mich der langfristig denkende Unternehmer immer Möglichkeit eins wählen.

Entscheidend ist: Bleiben Sie Marke, auch im Internet. Ziehen Sie ihre Grenze, gerade dort wo uns ständig suggeriert wird, dass es keine Grenzen mehr gibt. Widerstehen Sie zum Beispiel der häufig vorkommenden Versuchung, völlig artfremde Produkte in ihrem Webshop zu integrieren, einfach nur weil sie es tun könn(t)en und es so praktisch erscheint. Oder möchten Sie bei Ihrer Bank Bücher und Blumen kaufen und bei ihrer Autowerkstatt Kinderspielsachen oder Klamotten? 

BM: Früher spielte das Logo beim Branding eine bedeutende Rolle. Hat sich das in den modernen Markenstrategien verändert?

Die Rolle des Logos ist unverändert: Unter einem bestimmten Symbol und/oder Namen wird alles abgespeichert, was das Unternehmen dahinter für seine Kundschaft darstellt. Alle Leistungen, die man erfolgreich in der Kundschaft verankern konnte. Das Logo ist der Speicherplatz der DNA des Unternehmens seit Gründung, egal ob fünf, zehn oder hundert Jahre Leistungsgeschichte dahinterliegen. 

BM: Welche Rolle spielen im Kontext Markenbildung und Digitalisierung die sozialen Medien und die künstliche Intelligenz? 

Das Spannende und gleichzeitig die neue Herausforderung durch die Digitalisierung ist, dass ein Unternehmen unabhängig von seiner Größenordnung die Möglichkeit hat, über die zahlreichen Kanäle mit seiner Kundschaft in direkten Austausch zu treten. Dies ist einerseits anstrengend und erzeugt auch Kosten, denn an all diesen Auftrittsorten gibt es die Verpflichtung in markentypischer Art und Weise aufzutreten. Andererseits: Wenn ein Unternehmen früher zwei klassische Kontaktpunkte mit der Kundschaft hatte, zum Beispiel das stationäre Geschäft und einen Katalog, der zweimal im Jahr publiziert wurde, so müssen jetzt deutlich mehr Kontaktpunkte „bespielt“ werden. Dem Kunden ist es tendenziell völlig egal, wie er mit der Marke in Kontakt tritt, ob um 17 Uhr im Geschäft oder nachts um 1 Uhr auf dem Sofa liegend. Er möchte überall seine gewohnte Leistung erhalten, nur dass er es jetzt 24/7 erwartet. Diesem Anspruch entlang der gesamten Customer Journey markentypisch nachzukommen ist eine anspruchsvolle Management-Aufgabe. 

Jedoch auf der anderen Seite eine tolle Chance, gerade für diese Branche: Auf Instagram können Kunden aufgefordert werden, ihren selbstgebauten Carport oder neuen Schuppen zu fotografieren und mit Hashtag zum spaßgebenden Baumarkt zu verlinken. Bedeutet: Diese Welt ermöglicht viele kreative Möglichkeiten den Kunden auf einer durchaus persönlichen bzw. individuellen Ebene ans Unternehmen zu binden. Auf Youtube sind Erklärvideos und Aufbauanleitungen inzwischen zu beinahe allen Themen zu finden. Millionen Menschen zeigen und erzählen dort, wie sie ihre neue Uhr auspacken und anschließend Knöpfe drücken um Funktionen zu aktivieren… Da hat ein Unternehmen der DIY-Branche nun wahrlich andere Pfeile im Köcher. Der Kunde ist insgesamt viel direkter und kostengünstiger zu erreichen: Ein junges Unternehmen, das sich eine geschickte Social-Media-Strategie ausdenkt, kann mit wenig Budget theoretisch innerhalb kürzester Zeit eine globale Käuferschaft finden. Da ist eine gewisse Fairness in der Digitalisierung. Man muss sich allerdings intensiv Gedanken mache, eventuell seine eingefahrenen Denk-Wege verlassen.

BM: Welche Vorteile sehen Sie darin?

Die Digitalisierung führt zu mehr „Augenhöhe” in der Kommunikation mit dem Kunden. Unternehmen, die im Bereich Social Media aktiv sind, erleben den Kunden mit seinen Fragen oft anders, direkter aber sicherlich auch anspruchsvoller. Kunden können ihre Fragen schriftlich in Ruhe zu Hause formulieren. Sie können sich vorab umfassend informieren, denken wir an die Hotelbranche mit den Bewertungsportalen. Der Kunde kann kritische Fragen zur Nachhaltigkeit oder zu Arbeitsbedingungen stellen, Fragen, die er vielleicht dem Verkäufer im Laden in der Beratungs- oder Verkaufssituation nicht so stellen würde.

Das Unternehmen, das in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, muss ja zudem, wenn der Content nicht völlig belanglos sein soll, auch ein wenig die Hosen runterlassen und über Einstellungen, Haltungen und das eigene Vorgehen, die Angestellten berichten. Deswegen tun sich High-End-Luxusmarken mit langer Tradition manchmal etwas schwer mit der neuen Offenheit. In ihrer ganzen Geschichte mussten sie noch nie irgendetwas erklären, vielleicht konnten sie den Kunden sogar etwas von oben herab bedienen. Jetzt taucht die Frage auf, woher genau das Leder für die Handtasche stammt oder ob die Verpackung recycelfähig ist. Das ist dann schon für manche ein kleiner Kulturschock.

Dieser neue Convenience-Gedanke ist da ein Kulturbruch in einer vormals abgeschlossenen Welt. Die Digitalisierung wird zu mehr Transparenz führen, weil Unternehmen gezwungen sind, viel stärker nach außen zu berichten, sich viel stärker zu erklären, weit über den Jahresbericht hinaus – und das ist prinzipiell etwas sehr Gutes. Die Digitalisierung verstärkt und erzwingt so gesehen analogen unternehmerischen Anstand…

BM: Gerade das Online-Marketing wird dank all dieser neuen Kanäle stark beschleunigt. Müssen sich Marken dadurch nicht auch schneller wandeln?

Wie gesagt: Die Digitalisierung schaltet den analogen Kunden keineswegs aus – zumindest bei guter Markenführung! Speziell die Online-Marketing-Verantwortlichen sollten daher konsequent darauf achten, gerade wegen all des gefühlten Mega-Tempos um sie herum, für wen und was sie ihre zahlreichen Kanäle befüllen. Auch in den neuen digitalen Kanälen geht es einzig und allein darum, das positive Vorurteil über die Marke kontinuierlich zu verdichten. Die Marke interessant und abwechslungsreich darzustellen. Das heißt nichts anderes als dort das markentypische Tempo durchzusetzen, das wird bei Jack Daniels Whisky etwas anders sein als bei Red Bull.

Entscheidend ist: Allein die Marke setzt das Tempo und den Duktus, niemals der Kanal. Das Medium darf nicht über die Marke herrschen. Facebook führte ja zu seiner Anfangszeit dazu, dass sich konservative Versicherungen, in deren Gebäude kein einziger Angestellter sich ohne Krawatte reintraut, im Netz plötzlich als megacoole Hipsterfirmen auftraten. Inklusive Duzen der Kundschaft und einer völlig anderen Sprache, vielmehr Slang…

Dr. phil. Arnd Zschiesche ist Gründer und seit 2006 Geschäftsführer des Hamburger Büro für Markenentwicklungund Dozent an der Hochschule Luzern Wirtschaft (HSLU). Er ist Autor zahlreicher Sach- und Fachbücher sowie nachgefragter Interviewpartner in den Medien (u.a. ARD Plusminus u. Markencheck). Aktuelle Bücher: Marke statt Meinung (GABAL Verlag) und März 2020: Die Kirche stark machen. Ein Basis-Leitfaden für kirchliche Gemeinden und Organisationen (Springer Gabler); beide gemeinsam mit Prof. Dr. Oliver Errichiello.

Arnd Zschiesche ist zu erreichen unter folgender E-Mail-Adresse: az@buero-fuer-markenentwicklung.com

Arnd Zschiesche sitzt im Stuhl vor der Bücherwand im Büro für Markenentwicklung in Hamburg
Marke statt Meinung.
Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten (GABAL)
Die Kirche als Marke stark machen. Ein Basis-Leitfaden für kirchliche Gemeinden in Organisationen (Springer Gabler)

Mit Arnd Zschiesche “live” über Marke sprechen:

WEBINAR am 27. FEBRUAR 2020
Die Eigen-/Handelsmarke als Marke von morgen – nutzen Sie Ihre Chance.“ (Nie war es einfacher)

WEBINAR am 26. MÄRZ 2020
„Den Baumarkt als Marke positionieren – konsequent die eigene Leistung in Szene setzen.“

Markenführung in mittelständischen Kooperationen: BEST-Jahrestagung in El Gouna setzt Impulse

Arnd Zschiesche vor der TU Berlin, Campus El Gouna.

Ein leicht surrealer Ort ist Gastgeber des diesjährigen Tagungs-Geschehens bei BEST-Reisen: El Gouna, eine künstlich, dafür aber besonders nachhaltig angelegte Lagunenstadt in Ägypten, am Roten Meer. Der internationale Flughafen Hurghada ist nur 45 Minuten entfernt, die 1989 “begonnene” Stadt selbst hat einen kleinen Airport – dort landen meist gut betuchte Menschen, die hier ihre großen Wochenend-Häuschen oder Schiffchen (oder beides) besitzen. Ein militärisch bewachter Schlagbaum trennt die Wüste von einer Oase, in der alles im Überfluss vorhanden ist. Insgesamt drei Jachthäfen bieten viel Platz für Statussymbole, Uferpromenaden, Restaurants und Clubs. Ein ganzjährig gut gewärmter Platz am Roten Meer mit viel Raum für Touristik- und Immobilienträume…

Neben Krankenhaus, Fußballclub, eigenem TV-Sender findet auch eine Universität hier ihren Platz an der Sonne. Und die dort zu erwerbende Bildung ist “Made in Germany”: Die TU Berlin (Technische Universität Berlin) besitzt einen “Campus El Gouna”. Dort fand die diesjährige Jahrestagung der Reisebüro-Kooperation BEST-Reisen statt, insgesamt drei dicht gepackte Tage in El Gouna. Die zwei intensiven Konferenztage im Audimax der Universität wurden an Tag 1 geprägt vom Thema Markenstrategie und der Zukunft der Branche (inkl. Buzzword “Digitalisierung”), sowie am zweiten Tag vom Thema Nachhaltigkeit in der Touristikwelt. Hochkarätige, dabei aber vor allem kurzweilige Referenten, ließen lange Tage im Hörsaal schnell vergehen und begeisterten ihr Publikum – zwei Phänomene, die sonst an (technischen!) Universitäten eher selten vorkommen.

Mit einem mitreißenden Vortrag für die Stärken und neue Chancen bzw. Leistungen der Kooperation eröffnete BEST-Vorstand Marketing & Vertrieb Cornelius Meyer die Jahrestagung.

Dem Büro für Markenentwicklung, seit acht Jahren ein enger Begleiter von BEST-Reisen, vertreten durch Geschäftsführer Arnd Zschiesche, ging es darum, das Bewusstsein der BEST-Reisebüros für ihre ureigenen Stärken als Akteur vor Ort zu schärfen: Zu verdeutlichen, welche Rolle das einzelne kleine Reisebüro als lokaler “Player” spielen kann. Dies speziell angesichts der Unübersichtlichkeit und Komplexität des Internets mit seinen vielfältigen (Reise-)Möglichkeiten – aber eben auch Gefahren, Such-Anstrengungen und schwierigem Vertrauensaufbau. 

Der Kampf vieler Davids gegen wenige Goliaths

Als Resultat seiner Erfahrung als Partner mehrerer Kooperationen und Verbände in unterschiedlichen Branchen, von Isolierglas über Fertigbauhäuser bis zum Werkzeughandel, entwickelte das Hamburger Unternehmen sich zum Experten für die erfolgreiche Markenführung in mittelständischen Kooperationen. Das sog. DAVID-UND-GOLIATH-Prinzip der Kooperations-Markenführung ist ein Ergebnis dieser Tätigkeiten. Ein Thema, welches schon auf der Jahrestagung im Februar 2019 auf der AIDA-Nova im Rahmen der dortigen Keynote von Arnd Zschiesche eine erste Vertiefung erfuhr.   

Keynote zum Thema David-UND-Goliath-Prinzip.

In wohl jeder klassischen Branche gibt es marktbeherrschende Goliaths, d.h. einige wenige Unternehmen die einen Großteil des Marktes unter ihrer Kontrolle haben, eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Diese Zentralisten besitzen zumeist systemische Überlegenheit, sie treten überall mit Leistungsportfolio, Namen und ihrer Stilistik einheitlich auf. Skaleneffekte und Synergien ergeben sich für ihn erst, wenn er seine Abläufe reibungslos organisiert und systematisiert hat. Das Ergebnis sind massengängige Standards. Denn ob B-to-B oder B-to-C: Die Wertschöpfung der Zentralisten entsteht durch Fokussierung auf Standards. Anders können sie dem Margendruck etc. nicht erfolgreich begegnen, sie müssen möglichst effizient “Masse” machen. 

David punktet mit Spezialisierung und sozialer Nähe 

Genauso existieren weiterhin zahlreiche Branchen-Davids, d.h. lokale Unternehmen, die in ihrem definierten regionalen Umfeld tlw. äußerst erfolgreich agieren und neben den Goliaths koexistieren. Sie haben über Grundstandards hinaus, über die langjährige Kenntnis ihres lokal-regionalen Umfelds Spezialisierungen entwickelt (Beratung, Produkt-Bereitstellung etc.) und sich eigene Kompetenzfelder erarbeitet. Ihr betriebswirtschaftlicher Schlüssel ist ihre “Individuelle Lösungskompetenz”. Ein hoher Anteil Stammkundschaft (meist 75-80%), die gewachsene soziale Nähe vor Ort, ist ihre “Firewall” gegen Preiskampf und  Strukturüberlegenheit der Zentralisten. 

Der Weg: David muss auch Goliath sein 

Sich auf das Funktionieren der hier vorgestellten zwei Idealtypen zu verlassen, wäre naturgemäß naiv: Allein über seine persönliche Beratungsleistung und starke Stammkundschaft kann das Überleben der Davids nicht langfristig garantiert werden. Auch ihr Leistungsportfolio muss das breite Geschäft mit Standards abdecken, auch sie müssen alle tagesgeschäftlichen Bedarfe effizient bedienen können.

Hier schafft die  starke Kooperation eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Indem sie für ihre Mitglieder z.B. State-of-the-Art-Technik, Aus- und Fortbildung, besondere Einkaufskonditionen, Marketing-Unterstützung etc. garantiert, entsteht eine markensoziologische Wunderstruktur: Der David bleibt David – kann aber quasi per Knopfdruck zum Goliath werden. Der Kunde genießt alle Vorteile eines nahbaren lokalen Mittelständlers, hat aber bei Bedarf jederzeit Zugriff auf sämtliche Standards, welche der Markt anbietet. Last but absolutely not least garantiert ein starker Kooperations-Verbund wie BEST-Reisen die Unabhängigkeit des einzelnen Reisebüros vor Ort. Die “kleine” individuelle Marke wird abgesichert und darf ihre existenzsichernde persönliche Nähe, ihre lokalen Kernkompetenzen, weiter pflegen. 

Das Reisebüro als unabhängige Instanz vor Ort

Die Rolle des Reisebüros, hin zur Wahrnehmung als einer unabhängigen Instanz vor Ort, gilt es in Zukunft zu verstärken. Kein Markt wird durch die Digitalisierung einfacher, dies gilt gerade auch in der Reisebranche. Dabei hilft es, auch “Feindbilder” wie Check 24 positiv zu nutzen, um sich bewusst gegen solche “ominösen” Goliath-Anbieter als David zu positionieren. Entscheidend: Vertrauen ist und bleibt das alles entscheidende Marketing-Tool, auch im 21. Jahrhundert. Soziale Nähe und einen realen Ort (vor Ort) können Internet-Goliaths nicht wirklich bieten…

Das Reisebüro muss seine Chance, seine individuellen Stärken nutzen, sie dafür aber auch für die Kundschaft gezielt und konkret herausstellen. Die strukturelle Stoßrichtung: Ihr Reisebüro David für sie persönlich und unabhängig seit 30 Jahren in XY vor Ort. Gerade in einer Zeit, wo das Vertrauen in Konzerne und deren Leistung regelmäßig erschüttert wird. Gerade jetzt, wo vermehrt Menschen bewusst regional einkaufen.

Denn was Deutsche Bank und VW öffentlichkeitswirksam für die Wahrnehmung von Konzernen “geleistet” haben, dazu hat jetzt auch Reise-Goliath Thomas Cook seinen Beitrag geleistet. Dies sollte jeder aufrechte Mittelständler als Warnung sehen, bzw. als Aufforderung seinen Weg weiterzugehen. Kooperationen sind ein Mittel, diesen individuellen Weg in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu beschreiten – und dabei ganz bewusst ein “Anti-Konzern” zu bleiben. 

Mit geballter Power(-Point) für die Kooperation-Gemeinschaft.
Sehr gut gefüllter Hörsaal an der TU, nur wenige Studenten.

Praxisnahe Literatur zum Thema: 

 

Warum der Erhalt von nordfriesischen Haubargen für norddeutsche Soziologen Ehrensache ist.

Die „Strategische Patenschaft“ zwischen der „Interessengemeinschaft Baupflege Nordfriesland und Dithmarschen“ und dem „Büro für Markenentwicklung“ Hamburg dient dem Erhalt von Haubargen. Und mehr…

Typisch nordfriesische Deichlandschaft.
Quelle: Eigenes Bildarchiv

Der Norden: Unendliche Weiten. Grüne Weiden und Deiche im Sonnenschein (häufiger als man denkt!). Gewaltige Wolkenformationen, Möwengeschrei, Schafgeblöke, knorrig-kernige Personen, die sich verbal eher kurz fassen… Und manch ein Hefefreund hört spätestens jetzt das Ploppen eines Bierverschlusses. Für viele Menschen gehören zudem malerische Bauernhäuser unter Reet sowie roter Backstein zu den regionalen Köstlichkeiten – und zur natürlichen Wahrnehmung dieser touristischen Region. Wer im Urlaub mehr als Strand und hefehaltige Getränke sucht, wer Land und Wesen knorrig-herzlicher Menschen verstehen will (oder vor Sturm und Kälte flüchtet), der sollte in ihre Häuser gehen… 

Wir schreiben das Jahr 2019: Eine kleine feine Marke hat sich voll und ganz den norddeutschen “Mega-Marken” Friesland und Dithmarschen bzw. speziell ihrer in Stein gemeißelten und häufig reetbedeckten Preziosen verschrieben. Es ist die „Interessengemeinschaft Baupflege Friesland und Dithmarschen e.V.“, kurz IG Baupflege, für Kenner noch kürzer: IGB. Seit 1980 kämpft sie so engagiert wie unbeirrbar für den Beibehalt der einmaligen regionalen Baukultur und gegen die zunehmende Verflachung und Austauschbarkeit örtlicher Neubau-Architektur. Dafür wurde sie bereits 1984 mit dem Deutschen Denkmalspreis ausgezeichnet. 

Viel mehr als Wattenmeer: Nordfriesische Gebäude-Perlen im Hinterland

Denn neben der einmaligen Naturlandschaft des Wattenmeeres existiert hier eine ebenso einmalige Kulturlandschaft, deren Potential nicht annähernd gehoben ist. Ein auch im Wortsinne herausragendes charakteristisches Symbol des kulturellen Erbes im Inland der Westküste sind die Haubarge: Große Bauernhöfe mit imposant-hohen Dächern, meist auf schützenden Warften gelegen. Gebäude, die so nahezu ausschließlich auf der Halbinsel Eiderstedt zu finden sind. Die IGB will ein Bewusstsein dafür schaffen, dass sich abseits bekannter Pfahlbauten im Sand eine zunehmend wertgeschätzte Baukultur im satten Grün Nordfrieslands befindet.

Ob auf Sand, hinterm Deich, zu Lande oder in der Stadt: Immer wieder macht die IG Baupflege mit ihren ehrenamtlichen Unterstützern baukulturelle Neu-Entdeckungen im Kleinen wie im Großen. Das Spektrum reicht von altholländischen Fliesen bis zum „Englischen Bahnhof“ in Husum. Das Wissen um diese einzigartigen Bauwerke, deren Erhalt und Hilfe bei der Pflege ist Markenkern der IGB. Der „Maueranker“ ihr schriftliches Sprachrohr, Hans-Georg Hostrup ihr umtriebiger Vorstandsvorsitzender: Als „Mensch des Jahres 2018″ ausgezeichnet für sein ehrenamtliches IGB-Engagement für den Erhalt historischer Bauten.

Das Wissen allen zugänglich machen – digital

Aktuell startet ein digitales Großprojekt der Institution mit Sitz in Bredstedt: Das „IG-Baupflege-Online-Lexikon“ soll die Handwerkskunst, das umfassende Fach- und Spezialwissen um die besondere Architektur vor Ort bewahren, es gleichzeitig einer erweiterten Öffentlichkeit zugänglich machen. Dafür wurde von der IGB die große Spenden-Aktion „Rettet die Nordfriesische Hauslandschaft“ initiiert (Spenden-Logo siehe unten). Neben vielen anderen Maßnahmen wirbt ein eigener Kurzfilm für die Belange und Wichtigkeit der Baupflege in Nordfriesland: Passenderweise wird der Spot im Kino-Center Husum direkt vor dem Siegfried Lenz-Film „Die Deutschstunde“ gezeigt. Ein Werk, in dem Landschaft und Häuser Nordfrieslands eine tragende Rolle spielen. Mehr Informationen zur IGB-Aktion, finden sie hier.

Marke lebt von Geschichte – Geschichte lebt über konkrete Leistungsbeweise

Wer sich ernsthaft mit Marke und Markenführung auseinandersetzen will, kommt nicht umhin, sich intensiv mit Geschichte und Vergangenem zu befassen. Anders ist ein „richtiges“ Verständnis für die individuellen Besonderheiten einer Marke nicht möglich, anders kann kein soziales System wertschöpfend in die Zukunft geführt werden. Jeder seriöse Ansatz muss sich intensiv mit der Substanz einer Marke und deren Erhalt auseinandersetzen. Diese Substanz kann nur verstanden werden über das Verständnis der Evolution eines Markensystems.

Marken sind Kulturkörper, die auf Basis von Leistungen entstanden sind. Sie wurden zu Marken, weil sie es vermocht haben, ein spezifisches Muster zu verankern, sie erschufen sich einen Wiedererkennungswert. Einige sind so zu einem Esperanto des Handels geworden, ihr Code wird auf der ganzen Welt spontan entziffert, er kennt weder politische noch kulturelle Grenzen. Eine blaue Dose mit weißer Schrift wird global richtig „zugeordnet“, eine Louis Vuitton-Tasche auf jedem Boulevard erkannt, und und und… In Bezug auf eine Land- oder Regionalmarke kann das Muster genauso ein Dirndl, ein Oktoberfest oder ein Hofbräuhaus umfassen. Dinge, die einzigartig sind, die authentisch und konkret für ihre Vor-Geschichte und Herkunfts-Kultur stehen. 

Heut ist alles Marke – nur kaum einer versteht, was Marke ist

Das Thema Marke selbst ist in den letzten 25 Jahren überall angekommen, der Begriff hat eine steile Karriere erfahren: Nicht nur Manager, auch Politiker, sogar Kirchenvertreter sprechen anno 2019 ohne mit der Wimper zu zucken vom „Markenkern“ ihrer Kirche. In der Logik begreifen sich heute Sportvereine, Städte, Landschaften, ganze Regionen als Marken und vermarkten sich dementsprechend. Leider bedeutet all dieser Zuwachs nicht, dass das Markenverständnis größer geworden ist. Denn Marke an sich ist nur ein verbales Vehikel um Vertrauen in eine besondere Leistung unter einem Namen und Zeichen zu fassen. 

Der Mensch kann nur das Besondere lieben – Marke ist immer das Besondere

Das Prinzip macht deutlich, warum es Marken bereits bei den alten Griechen gab, sie keine Erfindung der Neuzeit sind. Weil Menschen immer schon außergewöhnliche Leistungen begehrenswert fanden. Damit einher geht neben dem Vertrauensaufbau bei entsprechender Leistung automatisch eine Kategorienbildung: Porzellan aus China, Wein aus der Toskana, Uhren aus Glashütte, Messer aus Solingen, Käse aus Appenzell, Husumer Krokusblüte etc. Entscheidend für das Verständnis jeder Art langfristiger Markenbildung ist: Der Mensch kann nur das Besondere lieben, das Gewöhnliche kann keine derartige Anziehungskraft entwickeln. 

Die Dinge sind die Gene der Kultur – Kultur ist umso stärker, je greifbarer sie ist 

Was wäre eine Stadt wie Lübeck ohne Holstentor, ohne Marzipan, sieben Kirchtürme, den Altstadtkern? Kurzgefasst: Was wäre die Stadt ohne ihre einzigartige Geschichte? 217.198 Einwohner, 214,21 Quadratkilometer Fläche, 10 Stadtteile mit 35 Stadtbezirken, usw. Erkennen Sie den Ort noch? Alle wissen intuitiv: Lübeck ist nicht wie Flensburg oder Kiel. Schon gar nicht wie Augsburg. Mainz hat 217.118 Einwohner, ähnelt Lübeck nicht wirklich. Aber warum nicht? Weil Marken, ob Stadt, Land oder Auto immer soziale Phänomene sind.

Daher ist das Wissen, das tiefe Verständnis und die selbstähnliche Fortschreibung ihrer Geschichte so wichtig für deren Stärkung und Durchsetzung. Herkunft spielt eine maßgebliche Rolle dabei, markensoziologisch gilt: Je mehr Globalisierung, umso wichtiger die Herkunft, die Region, der einzelne Ort. Deswegen braucht es Menschen, die diese Besonderheiten pflegen. Menschen, die den Sinn dafür haben, dass Kultur nie soft-fact, sondern entscheidender hard-fact ist. Der Soziologe sagt: Die Dinge sind die Gene der Kultur, genau darum ist ihr Erhalt (kultur-)überlebensnotwendig. 

Die Deutsche Soziologie wäre ohne den Haubarg ärmer

Typisch nordfriesische Landschaft vom Deich aus gesehen.
Der Haubarg “Op de Riep” auf dem Ferdinand Tönnies 1855 zur Welt kam. Quelle: Uwe Carstens: Ferdinand Tönnies. Friese und Weltbürger. Nordfriisk Institut, S. 14, 2. Auflage 2013 (Biografie).

Die Wissenschaft, die sich analytisch mit Marken als soziokulturellen Phänomenen auseinandersetzt und Werkzeuge für deren Zukunftsfähigkeit entwickelt, ist die Markensoziologie. Maßgeblich für das Verständnis der natürlichen Markenbildung und die Mobilisierung sozialer Anziehungskräfte ist ein Buch, welches ein Gründervater der deutschen Soziologie verfasst hat: Ferdinand Tönnies und sein Werk „Gemeinschaft und Gesellschaft“, erstmals 1887 erschienen; mittlerweile längst ein Klassiker, der auch in China und den USA Verbreitung gefunden hat.

Im Juni 2019 konnte die Ferdinand Tönnies Gesellschaft Kiel dieses Werk feierlich als Band 2 im Rahmen der Ferdinand Tönnies Gesamtausgabe präsentieren. Dies geschah im Rahmen des „X. Internationalen Tönnies Symposiums“ , siehe auch den Markenradar-Bericht vom Symposium: “Tönnies als Wirtschaftsberater”.  

Ohne Herkunft keine Hinkunft – auch nicht bei Wissenschaftlern

Jener Tönnies kam im Haubarg „Op de Riep“ bei Oldenswort auf der Halbinsel Eiderstedt zur Welt (siehe Bild). Das enge familiäre Zusammenleben in dieser Art des Bauernhauses ist sicher mitverantwortlich für sein sensibel-intensives Verständnis für den Begriff und das Wesen der gemeinschaftlichen Sozialform: Im Haubarg lebte die Familie auf meist kleinem Raume gemeinsam (mit den Nutztieren) unter einem großen Dach. Mit aller Zuneigung und allen Konflikten, welche diese Konstellation birgt und die für jedes Leben in Gemeinschaft typisch sind.

Das typisch ländliche Zusammenleben muss seinen Blick geschärft haben, für die Abgrenzung gegenüber der mit dem Anwachsen der Städte verstärkt aufkommenden, anonymeren Form des Zusammenlebens in Gesellschaft. Eine “neue” Form des Miteinanders, aus dem heraus eine andere soziale Distanz zwischen den Menschen entsteht. 

Der “Marke Haubarg” und “Nordfriesland” mehr Geltung verschaffen

Gute Gründe für das Büro für Markenentwicklung, sich für die IG Baupflege stark zu machen, ihr bei strategischen Fragestellungen zur Seite zu stehen. Das Hamburger Unternehmen setzt sich seit seiner Gründung 2006 intensiv für die Verbreitung des Wissens um das Werk von Ferdinand Tönnies ein. Es fußt wissenschaftlich auf seinem geistigen Fundament: Der Erhalt des Haubargs und anderer Gebäude als soziokulturelle Zeitzeugen ist somit in jeder Hinsicht ein Anliegen von zugriffsorientierten Soziologen wie auch von Markenexperten.

Nur über das Verständnis örtlicher Geschichte, Demut vor dem Geist und den Leistungen früherer Menschen, können Systeme Anziehungskraft entwickeln. Dafür sorgt die IGB in einem Bereich, dessen Erhalt auch für uns und unser Markenverständnis lebensnotwendig erscheint. Denn Zukunft kann weder geplant noch effizient ausgestaltet werden, ohne umfassendes Verständnis von Vergangenheit. Dazu muss Wissen so konkret wie möglich erhalten und weitergetragen werden. Anders funktioniert es nicht. Es geht um deutlich mehr als den Erhalt von Haubargen…

Hans-Georg Hostrup, Vorsitzender der IG Baupflege, vor seinem Haubarg Blumenhof bei Tating, gemeinsam mit Arnd Zschiesche.
Quelle: Eigenes Bildarchiv
Das offizielle Siegel der IGB-Aktion “Rettet die Nordfriesische Hauslandschaft!”

X. Internationales Tönnies Symposium in Kiel: Ferdinand Tönnies als Wirtschaftsberater

Das X. Internationale Tönnies Symposium fand vom 5. bis 7. September 2019 an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel statt. In den Sälen des Audimax der Hochschule richtete die Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft die Veranstaltung aus. Ein besonderer Anlass war durch das Erscheinen von “Gemeinschaft und Gesellschaft” – dem berühmten Hauptwerk des Begründers der Soziologie in Deutschland – als Band 2 der Tönnies-Gesamtausgabe gegeben. Unter dem Titel der öffentlichen Veranstaltung “Gemeinschaft und Gesellschaft: Gemeinwohl und Eigeninteresse heute” ging es den teilnehmenden Wissenschaftlern darum, dem Denken des Gelehrten aus Oldenswort vor dem Hintergrund aktueller sozialer Herausforderungen und Krisen nachzuspüren. Außerdem wurde der inhaltlich-thematische Reichtum des Klassikers im Kontext der Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts beleuchtet. Die internationalen Tönnies-Experten sprachen zu diversen Aspekten seines Werks, das dreitägige Programm kann hier nachgelesen werden.

Tönnies Lehre ist so bunt wie aktuell.
Ferdinand Tönnies als Wirtschaftsberater

Unter der Überschrift “Ferdinand Tönnies als Wirtschaftsberater” fand am 7. September im Hörsaal H des Audimax ein mehrstündiges Panel statt, bei dem das Büro für Markenentwicklung mit drei Referenten am Start war: Professor Alexander Deichsel, in Doppelfunktion als Präsident der Ferdinand Tönnies Gesellschaft und Wissenschaftlicher Associate des Büro für Markenentwicklung, Professor Dr. Oliver Errichiello und Dr. Arnd Zschiesche als Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung in Hamburg. Die Themenbreite des Panels zeigt das Spektrum des Begründers der deutschen Soziologie allein im Bereich Wirtschaft: 

  • Prof. Dr. Oliver Errichiello: Einsamkeit als Bündniskraft: Die gemeinschaftliche Funktion der Marke in einer haltlosen Welt

  • Prof. Dr. Hartmut Hecht: Tönnies’ Leibniz Lektüre

  • Dr. Arnd Zschiesche: Die Soziologie ins Leben stellen: Tönnies als Sozioökonom und Markenversteher

  • Dr. Axel Schroeder: Markenbildung im Kapitalmarkt

  • Dr. Martin Busch: Selbstähnlichkeit in der Nachrichtenflut – Markentechnische Bemerkungen zur Ordnung im vermeintlichen Chaos

  • Dr. Rainer Waßner: „Keine Feier ohne Meyer!“ Aufstieg und Fall eines Berliner Marktgiganten

  • Prof. Dr. Alexander Deichsel: Marke verkauft Moral zu ethischen Bedingungen

Leibniz und Tönnies im “Austausch”

Es kam zu ausgiebigen Diskussionen, weit über das Thema Wirtschaft hinaus. So z.B. in Bezug auf das wissenschaftliche Verhältnis von Gottfried Wilhelm Leibniz und Tönnies, welches Hartmut Hecht anhand eines Briefes von Leibniz an Thomas Hobbes aus dem Jahre 1670 darstellt.  Einen Brief, welchen Ferdinand Tönnies 200 Jahre später in der British Library entdeckt, kommentiert und 1887 mit seinen Kommentaren publiziert. Hecht leitet aus Tönnies Text-Anmerkungen die These ab, dass sich trotz des zeitlichen Abstands, die Begründung von zwei unterschiedlichen empirischer Disziplinen wie der Physik und der Soziologie nicht nur gleicht, sondern auf einem gemeinsamen geistigen Ursprung beruht.

Die Marke als soziales phänomen erkennen

Aber gemäß dem Oberthema wurde auch die Rolle der Marke als Wirtschaftsfaktor im zunehmend digitalisierten 21. Jahrhundert  intensiv beleuchtet und diskutiert. Nicht zuletzt die plakative Tatsache, dass medial oft von Apple-Jüngern gesprochen wird, viele Marken mit umfassenden Mitteln versuchen sog. “Brand Communities” zu installieren, zeigt wie zeitlos die Erkenntnisse von Tönnies über die starken (wesenwilligen) Anziehungskräfte von Systemen sind: Die Marke wird deutlich, als ein primär soziales Phänomen, welches betriebswirtschaftliche Auswirkungen hat. Wer sie als Verantwortlicher nicht als soziales Phänomen begreift, der kann eine Marken-Gestalt nicht wert-bewusst und somit nicht verantwortungs-bewusst führen. Es gilt: Je stärker der gemeinschaftliche Grad einer Marke, je dichter ihr positives Vorurteil in der Kundschaft (und Öffentlichkeit), umso höher ihre soziale Attraktivität im Markt.  

Professor Alexander Deichsel und Professor Oliver Errichiello bei der Begrüßung im Hörsaal H.
Dr. Hartmut Hecht im Gespräch mit Alexander Deichsel.
Dr. Arnd Zschiesche referiert über Tönnies und seinen Beitrag zur Markenanalytik.
Dr. Martin Busch, Redakteur bei Radio Bremen, spricht über die Herausforderung Selbstähnlichkeit in den täglichen Nachrichten-Strom zu bringen.

 

Das positive Vorurteil über Deutschland

  • Nur dumme Menschen haben Vorurteile. 
  • Vorurteile sind brandgefährlich. 
  • Vorurteile muss man Ausrotten.

Diese drei Gemeinplätze zum Vorurteil würden viele Menschen spontan unterschreiben. Das ist – wenn es denn wirklich spontan geschieht – verständlich: Das Vorurteil hat in der Menschheitsgeschichte für ungeheure Unmenschlichkeiten gesorgt. Viele der verwackelten Filmfetzen, die uns tagesaktuell heimsuchen, obwohl wir uns gerade auf dem Sofa mit einer veganen Fairtrade-Limonade die Welt korrekt trinken wollten, belegen, dass das Böse da draußen weiter seine unheilvollen Bahnen zieht. Derartiges Geschehen lässt sich leider häufig auf existierende Vorurteile und daraus resultierenden Hass zurückführen. Vorurteile sind in dem Verständnis nur etwas für kahlrasierte Schädel alter deutscher Prägung oder langbärtige Extremisten jüngerer Prägung… Folgerichtig verachten gerade gebildete Menschen das Vorurteil an sich, manche unternehmen große Anstrengungen um sich frei davon zu machen. Gut gemeint aber zu kurz gedacht. 

Denn all diese Tatsachen dürfen nicht den Blick dafür verstellen, dass ein Vorurteil nicht automatisch ein negatives ist. Die Folgen negativer Vorurteile sind nur deutlich augenfälliger als die Folgen positiver Vorurteile. Und tatsächlich existiert in der öffentlichen Debatte die positive Variante nicht. Im Allgemeingebrauch und in der Forschung wird es primär und nahezu ausschließlich in seinen negativen Aspekten untersucht (Autor ausgenommen). Hier soll die Schlagkraft von Vorurteilen am Beispiel des positiven Vorurteils über Deutschland dargestellt werden.

Vorurteile vorurteilsfrei betrachten

Ein interessanter Hinweis ist, dass es bis in die 1930er Jahre vollkommen selbstverständlich war, dass es nicht allein negative, sondern genauso positive Vorurteile gibt. Dabei gilt vieles, was für das negative Vorurteil gilt, für das positive Vorurteil gleichermaßen: Seine Langlebigkeit gegenüber Fakten und gut gemeinten Nachbarschaftsfesten – allen Dingen, die eine andere Wahrheit zulassen. Oder wie es Albert Einstein auf den Punkt brachte: „Ein Vorurteil ist schwerer zu spalten als ein Atom.“                                                                                   

Bei näherem Hinsehen wird umgehend deutlich, dass ein vorurteilsfreies Leben weder erstrebenswert noch praktikabel wäre. Gerade in unserer hochdifferenzierten Gesellschaft, die es keinem noch so intelligenten Einzelwesen ermöglicht, Experte auf allen Gebieten zu sein. Im 21. Jahrhundert benötigen wir Urteile ohne vorhergehende Prüfung um handlungsfähig zu bleiben. Jeden Tag sind wir abhängig von abertausend abgespeicherten Vorurteilen in unserem Kopf.

Ein simpler Supermarkteinkauf ohne Vorurteile? Wir würden vorm Kühlregal wahlweise erfrieren oder verhungern, wenn wir nicht ein paar Vorurteile über Landliebe, Milram oder Danone im Kopf hätten – und uns relativ sicher wären, dass diese Firmen kein Formaldehyd in Becher füllen. Eine Bank in Aserbaidschan bietet 3,8 % Zinsen an, eine Schweizer Bank 0,9 %: Wo eröffnen Sie Ihr Konto? Würden Sie in Paris genauso einen Zebrastreifen überqueren wie in Oslo? Bitte nicht… Naiv-dumme Hirngespinste, ja rassistische Voraus-Urteile ohne jedes Fundament? Oder ein pragmatisch-effizientes Vorgehen um den Alltag zu meistern (in Paris lebensrettend)? 

Leistungen als Grundlage des positiven Vorurteils

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Varianten: Das positive Vorurteil basiert ursächlich auf Leistungen und Fakten. Ein Beispiel:  Wenn wir zufällig ausgewählte Personen bitten, spontan Assoziationen zu nennen, die ihnen zum Begriff „Volvo“ einfallen, ist erfahrungsgemäß eine der meistgehörten „Sicherheit“. Selbst wenn keine einzige der Personen Mechaniker oder Ingenieur ist, niemand der Befragten selbst Volvo fährt, noch sich überhaupt für Autos interessiert. Was für eine Leistung des schwedischen Herstellers. Apropos: „Schweden“ landet meist auf dem zweiten Platz. Das Spannende: Wenn man die Historie des Autobauers liest, ist auffällig, wie viele Beiträge zur automobilen Sicherheit seit Gründung 1927 in Göteborg erdacht wurden. Unter anderem der erste serienmäßige Dreipunkt-Sicherheitsgurt 1959 oder das erste Gurtkissen für Kinder 1976. Apropos: der Begriff „Familie“ landet oft auf dem dritten Rang. 

Wirtschaft als Kampf um das stärkste positive Vorurteil

Das Beispiel ermöglicht eine Perspektive auf die vernetzte Weltwirtschaft, die verdeutlicht, was es für ein Unternehmen und sein Herkunftsland bedeutet, ein starkes Vorurteil verankert zu haben. Hier: Autos aus Schweden sind sicher (auch die chinesischen Eigner haben dies gut verstanden). Es entsteht eine Wechselwirkung, die wirtschaftlich betrachtet nur Gewinner kennt, Land und Firma steigern ihre Attraktivität. Um noch kurz vor Ort zu bleiben, sei hinzugefügt, dass die Marke IKEA wohl mehr zur massenhaften Verbreitung und Beliebtheit der schwedischen Kultur beigetragen hat, als jedes Svenska-Kulturinstitut in Peking oder Washington. 

Volvo, BMW, Harley: Wirtschaft bedeutet den Kampf um das stärkste positive Vorurteil im Markt, die Herkunft kann ein „Booster“ dabei sein. Ein Land, welches über eines der stärksten positiven Vorurteile im Bereich Industrie und Technik weltweit verfügt(e), ist seit der Industrialisierung Deutschland. Das globale Gütesiegel „Made in Germany“ ist vielfach beschrieben wie gefeiert worden, es wird traditionell als Exzellenz-Beweis eingesetzt. Wer einmal in einem Tokioter Kaufhaus beobachtet hat, wie sorgfältig deutsche Fähnchen oder „Made in Germany“-Schilder neben Töpfe, Messer, Staubsauger drapiert werden, der ahnt, was für einen Wert dieses Vor-Vertrauen besitzt. 

Leistungen der Deutschen Industrie im 19. Jahrhundert als Fundament

Ein derartiges positives Vorurteil ist mit viel Dampf und wenig heißer Luft entstanden – sein Aufbau lässt sich nachvollziehen. Ein Blick in die Gründungsphase heimischer Industrie-Ikonen macht es deutlich: Ab 1837 lieferte die Firma Borsig Dampfmaschinen aus. Ab 1841 begann mit der ersten Lokomotive eine Erfolgshistorie, die dafür sorgte, dass der Name zum Synonym für Lokomotivbau wurde. Konkurrenz gab es ab 1858 von Henschel aus Kassel. Siemens & Halske gründeten sich 1847, Bayer und Hoechst 1863, BASF 1865, Hoesch und Thyssen 1871, AEG 1883, Bosch 1886. In dem Jahr entwickelten Carl Benz und Gottlieb Daimler unabhängig voneinander die ersten Automobile der Welt.

Erste Borsig-Dampflokomotive, Zeichnung datiert 1840. Quelle: Wikipedia Borsig (Unternehmen)

Aus der Besonderheit dieses kulturellen Hintergrundes, mit bahnbrechenden Erfindungen und Errungenschaften, dem elektrodynamischen Prinzip (1866), der ersten elektrischen Lokomotive (1879), zahlreichen Nobelpreisen in Chemie, Physik und Medizin, wurde ein einzigartiges kollektives Energiefeld aufgebaut: Ein positives Vorurteil, welches alle Produkte aus Deutschland mit einem kostenlosen Schub Vorvertrauen und Faszination ausstattet, ein unbezahlbarer Mehrwert.

Die „Marke“ Deutschland baut sich ab – von innen

Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, wenn der VW-Konzern seinen Kunden eine Betrugssoftware ins Auto einbaut? Was bedeutet es, wenn eine Bank, die das „Deutsche“ im Namen trägt, ihre Kunden und nahezu alle, die mit ihr zu tun haben, hinters Licht führt? Welche Folgen ergeben sich, wenn die Eröffnung bzw. Nicht-Eröffnung eines Hauptstadt-Flughafens wegen technischer Probleme zur weltweiten Lachnummer verkommt? 

Von Marietta Slomka bis zu den üblichen Talkrunden wird mit Experten über die monetären Schäden solcher Vorfälle debattiert, um das Versagen zumindest in Zahlen fassen zu können. Leider geht es dabei meist nicht um das Entscheidende: Den sozial-realen Super-GAU, der sich in Zahlen längst nicht mehr darstellen lässt. Den sozioökonomischen Raubbau am positiven Vorurteil über Leistungen aus Deutschland. Den Leistungsträgern aus Management und Consulting, die meist die Überzeugung in sich tragen, dass sie komplexe wirtschaftlich-politische Gesamtzusammenhänge verstehen, scheint dieser einfache Ursache-Wirkungs-Zusammenhang nicht klar zu sein. Oder es fehlt an managerialer Demut, ein System zu schützen, dass größer ist als jede Einzelperson und jedes Einzelunternehmen für sich.

Das positive Vorurteil über Deutschland als “Dachmarke” der Wirtschaft

Es ist sicher kein Zufall, dass viele der Vorfälle in Konzernen passieren, nicht in mittelständischen Unternehmen. Denn dort sind Gründer oder Geschäftsführer deutlich direkter ins Geschehen – und in die konkreten Folgen ihrer Handlungen – involviert. Die Mehrheit dieser „anständigen“ Firmen wird unschuldig in Mitleidenschaft und Mit-Haftung gezogen. Die Zerstörung des positiven Vorurteils als „Dach“ der deutschen Wirtschaft zieht den spezialisierten Hidden-Champion auf der Schwäbischen Alb genauso mit runter wie Start-Ups, die in ihren Auslandsbeziehungen vom Vorurteil profitiert haben. Denn neue Märkte waren ihnen gegenüber eher aufgeschlossen, investierten Vor-Vertrauen. 

Es geht um den massiven Vertrauensverlust einer exportabhängigen Volkswirtschaft, die ihren „Dauer-Elchtest“ erlebt. Ob an der Börse oder im Direktgeschäft: Die schnellste soziale Geschwindigkeit ist und bleibt das Vertrauen. Je mehr Globalisierung, je mehr Konkurrenz, umso wichtiger wird die Herkunft als ein maximal effizienter Vorurteils- und Vertrauensträger über alle Kanäle hinweg.

Selbst wenn starke Vorurteile nicht über Nacht verschwinden, so arbeiten einige berühmte Marken intensiv daran, sich selbst tragende Säulen nachhaltig zu zertrümmern. Säulen, die Unternehmen wie VW oder Deutsche Bank zudem eigenhändig mitaufgebaut haben. Säulen von denen sie jahrzehntelang profitierten, weil Menschen weltweit ihren Produkten und Dienstleistungen einen Mehrwert unterstellt haben: Viele Kunden bereit waren, genau dafür mehr Geld zu investieren. Die Bank trägt das positive Vorurteil sogar im Namen… Es beweist sich eine soziologische Binsenweisheit: Wirtschaftskörper werden immer von innen zerstört, niemals von außen. 


Der Autor: Der Markensoziologe Dr. Arnd Zschiesche beschäftigt sich seit zwanzig Jahren mit dem positiven Vorurteil als Wirtschaftsfaktor. Er forschte speziell über das positive Vorurteil über Deutschland, über die Grundlagen der “Standortmarke Made in Germany” und den Abbau des Vorurteils innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte.

Der Geschäftsführer und Gründer des Büro für Markenentwicklung Hamburg ist Autor zahlreicher Sach- und Fachbücher zum Thema Marke und Markenführung sowie regelmäßig als Experte zu diesen Themen in den Medien vertreten (u.a. ARD Markencheck, ARD Plusminus). Sein Artikel erschien zuerst im Juli 2019 in Tichys Einblick.

Literatur:

Zschiesche, Arnd: Ein Positives Vorurteil Deutschland gegenüber. Mercedes-Benz als Gestaltsystem. Ein markensoziologischer Beitrag zur Vorurteilsforschung. LIT Verlag, Berlin, 2007

Zschiesche, Arnd/Errichiello, Oliver: Marke statt Meinung. Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten. GABAL, Offenbach, 2018

Blogbeitrag Markenradar: Marke als positives Vorurteil, vom 18.02.2015.

Ein Positives Vorurteil Deutschland gegenüber. Mercedes-Benz als Gestaltsystem
Marke statt Meinung. Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten.

[1]Auch die chinesischen Eigner der Marke sind sich dessen bewusst und vermeiden jede Assoziation mit China in der Kommunikation nach außen.


Warum sozialer Wille Grundlage jeder Markenbildung ist

Ob Start-Up von 2019 oder Traditionshaus von 1879: Bei der Analyse von Marken ist ein häufig wiederkehrendes Element, dass der Urkern der Marke dem Einzelwillen eines Gründers bzw. speziell heutzutage mehrerer Gründer(innen) entspringt. Ein typischer Start: Eine Person hat eine Idee, diese Idee oder dieses Problem ließ den (armen) Menschen nicht mehr los, bis er eine Lösung gefunden hat. Ob es die Idee war, Öl mit Wasser zu verbinden (NIVEA), Lebensmittel luftdicht zu verschließen (Tupperware), Schuhe mit Löchern zwecks Belüftung zu versehen (Geox). Oder “nur” das kleine aber eigene Café im Viertel… Am Anfang steht immer eine Vorstellung, ein Traum. Und der individuelle Wille, diese eigene Idee in die Tat umzusetzen.

Der Wille, die Idee braucht Anhänger

Oftmals findet die Durchsetzung der eigenen Marken-Idee gegen erhebliche Widerstände von außen statt. Denn eines wird in der analytischen Betrachtung schnell offensichtlich: Ohne die unbändige Kraft des menschlichen Einzelwillens ist die kunterbunte Marken-Vielfalt auf der Erde nicht zu erklären: Wenn ein Auto wirklich nur wichtig wäre, um von A nach B zu kommen, würden nicht hunderte unterschiedlicher Automarken existieren.

Um es mit der eigenen Idee auch zu wirtschaftlichem Erfolg zu bringen, benötigt es allerdings mehr als nur den unbedingten Willen und seine leistungsstarke Umsetzung: Die Idee braucht Käufer, die im besten Falle zu langfristigen Anhängern der Leistung werden. Aus dem individuellen Willen einzelner muss der soziale Wille vieler werden, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, anders formuliert: Eine Kundschaft muss entstehen.

Jede Form sozialer Verbundenheit entsteht nur durch den Willen einzelner Individuen zu dieser Verbundenheit. Alles soziale Handeln wird davon gelenkt. Verfügt die aus dem vereinigten Willen der Beteiligten entstandene Verbindung über ein attraktives Angebot, entwickelt sie Anziehungskraft für weitere Individuen. Bezogen auf die Marke bedeutet dies, dass die Unternehmensleistung eine Wirkung erzielt und viele Menschen anzieht. Es entsteht Begehrlichkeit, die in der Folge zum stetig erhöhten Abverkauf des Produkts führt. Der Warenwert wird von den Käufern deutlich höher eingeschätzt als der von ihnen investierte Geldwert.

Der Wille stabilisiert das (Marken-) System

Wird die Erwartungshaltung gegenüber einem Produkt bei mehrmaligem Kauf beständig erfüllt, bildet sich ein Energiekreislauf innerhalb des Systems: „Wenn sich die Wünsche der einen und die Leistungen der anderen Seite entsprechen, bildet sich ein rückkoppelndes System aus positiven Willensbeziehungen. Viele einzelne Willen verbinden sich zu einer Einheit, die alle Beteiligten in die Pflicht nimmt – sozialer Wille ist entstanden” (Deichsel, Markensoziologie, 2006, S. 13). Das ist der wahre ROI (Return on Invest).

Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie – das Standardwerk als Lesetipp: Grundlagen der Markensoziologie, komplett überarbeitete Neuauflage, 2017

Auf diese Weise stabilisiert der Wille nicht nur die Firma selbst. Die Marke nimmt alle ihre Anhänger als kritische Kontrollinstanz und kostenlose Multiplikatoren der eigenen Botschaft in die Verantwortung. Eine wechselseitige Verantwortung: Die Anhänger geben ihre guten Erfahrungen mit der Markenleistung gerne weiter. Sie entwickeln aber ebenso ein feines Gespür dafür, wenn ein neues Produkt nicht zu ihrer Marke passt. Gerade im Digitalzeitalter besitzen sie viele Möglichkeiten, ihren Marken-Unmut wirksam kund zu tun…

Wichtigste Zielgruppe: Die eigene Kundschaft

So bindet das Unternehmen die Kundschaft als Stabilisator in das System ein. Marke ist sozialer Wille und bündelt diese Willenskraft, denn nur durch die Bejahung der Kundschaft erhält sie ihre Existenzberechtigung. Dies macht deutlich, warum alle strategischen Maßnahmen die Marken-Kundschaft im Fokus haben müssen: Sie ist Träger des Wissen um die Marke und sie besitzt den Willen zur Marke…

Publizieren und arbeiten seit über 20 Jahren zum Thema: Die Markensoziologen Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello, Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung Hamburg. Lehre u.a. an der Hochschule Luzern Wirtschaft und Hochschule Mittweida. Aktuelles Buch: Marke statt Meinung, GABAL Verlag

Ein Plädoyer: Authentizität und analoger Anstand für digitale Durchsetzung…

Arnd Zschiesche war erneut Gastautor im IKM-Blog an “seiner” Hochschule Wirtschaft Luzern. Im 2. Teil der Kurzserie des IKM (Institut für Kommunikation und Marketing) zum Thema Marke 4.0 ging es diesmal darum, wie die Marke digital erfolgreich mit ihrer Kundschaft kommuniziert. Ist digital wirklich alles anders? Oder ist die “Herausforderung Digitalisierung” zumindest strukturell-ursächlich betrachtet nicht eher doch ein stark analog-basiertes Phänomen? Wie wichtig ist Authentizität? Wie wird sie ins Netz transferiert? Braucht erfolgreiche Digitalisierung eventuell auch analogen Anstand im Unternehmen?

Arnd Zschiesche beim Unterricht im CAS Brand Management an der Hochschule Luzern Wirtschaft: “Modul Markensoziologie”.

Die Erfahrungen aus der Beratungspraxis des Büro für Markenentwicklung beim kontinuierlichen Mega-Thema Digitalisierung sind eindeutig: Die Ängste als Unternehmen alles zu verlieren, als Marke den Zug der Zeit zu verpassen, sind weit über übliche Verdächtige wie z.B. die Automobilbranche in allen  Branchen virulent.  Die Unsicherheit und Verunsicherung ist überall spürbar. Kein nationaler oder internationaler Kongress in den letzen Jahren, bei dem es nicht um britische Buzzwörter wie Disruption, Innovation, Digitalisation usw. ging (siehe z.B. Markenradar-Bericht zum World Travel Forum Lucerne Mai 2019).

Analoge Authentizität must Go digital

Unser Fazit: Die Lösung für jedes digitale Problem liegt ursächlich immer im (analogen) Unternehmen. Es geht tatsächlich “nur” darum, den Genetischen Code der Unternehmung authentisch bzw. selbstähnlich an alle digitalen Kontaktpunkte mit der Kundschaft zu transferieren. Die Besonderheiten der Marke müssen erfahrbar sein – überall und jederzeit. Ein anspruchsvoller Prozess sicherlich, aber so unvermeidbar wie unabwendbar, wenn die Zeitenwende positiv angenommen und angegangen wird.

Wenn allerdings im Vorwege klar definiert ist, wofür das Unternehmen ganz konkret steht und wie es traditionell mit seiner Kundschaft kommuniziert, so ist der kreative Korridor für den Gang in die Digitalisierung perfekt bereitet. Was generell schwieriger bzw. herausfordernder geworden ist, sind Management und Kontrolle der zahlreichen neuen Kontaktpunkte. Hinzu kommt die Offenheit, welche die Digitalisierung zwangsweise mit sich bringt. Hier müssen manche Unternehmen z.B. in der Luxusbranche erheblich dazulernen, weil die neue Nähe zum Kunden für einige von ihnen ungewohnt ist. Und gerade bei attraktiven Rampenlicht-Marken will die anspruchsvoll-interessierte und eventuell kritisch-gut gebildete Kundschaft einiges wissen… (von Medien einmal bewusst abgesehen).

Auf einmal müssen viel mehr Fragen von viel mehr Seiten beantwortet werden: Der Kunde taucht nicht mehr nur zwischen 10 und 19 Uhr im analogen Shop auf, sondern steht plötzlich digital 24/7 mit zahlreichen Fragen “auf der Matte”… Und er kann prinzipiell von fünf Kontinenten mit seinen Fragen kommen. Die derart stark erhöhte “Convenience” für den Kunden wird manchmal im Unternehmen als echte “Inconvenience” angesehen. Ergo: Es gibt in jedem Falle einiges zu tun. Und dabei gilt es – zumindest bei jeder seriösen d.h. langfristig orientierten Unternehmung – nie zu vergessen: Auch die Herausforderung Digitalisierung braucht vor allem analogen Anstand – der Umgang muss offen und ehrlich sein; die Firma, die nichts zu verbergen hat, lebt besser und gesünder (in jeder Hinsicht). Und ein umfassendes Marken-Gesamtkonzept ist das unabdingbare Schmiermittel.

Mehr zu diesem Thema auf dem IKM Blogbeitrag von Arnd Zschiesche zu “Analogem Anstand”.

Unser komprimierter Leitfaden für die nachhaltige Transformation von analog zu digital:

Mehr Infos: “Praxis-Check digitale Markenführung im Mittelstand” (SpringerGabler)

Weber Grill: Immer noch der Mercedes für die Terrasse?

Mehr Grill war nie: Ein Grill-Paradies für alle Enthusiasten in Köln… Doch die Konkurrenz hat schon erheblich Raum eingenommen.

Der Weber Grill ist trotz seiner US-Abstammung im deutschen Sommer von den Terrassen des grillverrückten Landes nicht wegzudenken: Der Marke aus dem kleinen Ort Palatine in der Nähe von Chicago im US-Bundesstaat Illinois wird hierzulande eine ausgesprochen hohe Grill-/Barbecue-Kompetenz zuerkannt. Und das will etwas heißen: Laut einer Statista-Statistik vom September 2018 stehen 95,8 % der Deutschen sobald die Sonne regelmäßiger und wärmer scheint, gerne am Rost. Sie wenden willenlos Würste und fachsimpeln dazu über ihre einzigartige Wendetechnik – oder eben den eigenen Grill. Da wird die Technik, pardon die Technik-Philosophie der unterschiedlichen Grille, Grill-Arten und Grill-Marke(n) diskutiert. So wie Kinder bei einem PS-starken Autoquartett einzelne Leistungsmerkmale miteinander vergleichen, so gehen die Grille miteinander in den verbalen Wettkampf. Apropos: Einen Grill ihr eigen nennen 89,7 % der Deutschen (Statista 11.09.2018).

Die Marke Weber hat in diesem Wettbewerb bei einigen ihrer oft gutbürgerlich betuchten Fans einen Status erreicht, der den Vergleich mit Apple-Jüngern durchaus zulässt. Doch löst die Marke das Versprechen an ihre “Weber-Jünger” auch weiterhin ein? Hinzu kommt, dass es mittlerweile starke Konkurrenten wie Napoleon oder Broil King gibt, welche die Marke in ihrem Qualitäts- und zunehmend auch Preissegment attackieren.

Der beste Marken-Start: Der erste im eigenen Markt sein

Typisch für die Marke Weber und ihren Erfolg ist, dass sie eine grundlegende Erfindung gemacht hat und diese technische Innovation erfolgreich als erste Marke platzieren konnte. Innerhalb des existierenden Segments “Grill” konnte Weber einen neuen Markt begründen und avancierte zum Alleinherrscher: Es existierte bis dato der in Nordamerika dominierende, gemauerte “Ziegelsteingrill” oder andere offene Grill-Varianten, die jedoch bei jedem Regenschauer das jähe Ende des Grillvergnügens bedeuteten. All diese Feuerstellen wurden von der oben einfach abzudeckenden Weber-Kugel massiv verdrängt. Eine Grill-Revolution nimmt ihren Anfang: Vom einstigen Grillen überm Erdloch bis zur mobilen Grill-Kugel.

Der Eintritt ins Grill-Marken-Universum von Weber. Hier vom Santos Grill-Shop eindrucksvoll in Szene bzw. an die Decke gesetzt.

Eine wetterfeste Boje erobert die Grill-Welt

Die dazugehörige Marken-Legende ist so einfach wie genial, jedoch viele starke Marken basieren auf einem einfachen Prinzip bzw. einer äußerst einfachen Grundidee. Diese runde Idee überfällt den Amerikaner George Stephen im Jahr 1952: Der Grill-Fan ärgert sich regelmäßig über seinen gemauerten Backstein-Grill. Das Fleisch verkohlt ihm häufig und sein Grill-Gemäuer ist zudem unbeweglich.

Der Mann, der als Schweißer in einer Chicagoer Fabrik namens Weber Brothers Metal Works arbeitet, die Bojen aus Metall herstellt, nimmt sich zwei Hälften einer Metallboje. An den unteren Teil montierte er Bleche als Beine, dann stanzte er Luftlöcher in die obere und untere Hälfte der Kugel – fertig war der welterste Kugelgrill.

Zur langfristigen Legendenbildung und einem impressiven Durchbruch verhilft ihm ein heftiger Regenschauer bei einem Bratwurst-Grillwettbewerb in Wisconsin: Alle anderen Teilnehmer müssen aufgeben, er kann als einziger ganz gelassen fertig grillen. Das ist das Holz bzw. Metall aus dem starke Markengeschichten geschweißt sind…

Er darf aufgrund seines Erfolgszuges die Grillabteilung des Unternehmens begründen. Bereits Ende der 1950er Jahre kann er die 1893 gegründete Firma übernehmen, die Eigentümer ausbezahlen. Er behält den bekannten Markennamen für die Grills bei, ergänzt den offiziellen Firmennamen allerdings um seinen eigenen: “Weber-Stephenson Products Co.”. Ab 1985 ergänzen Gasgrills das Portfolio, 1999 wird die Weber-Stephenson Deutschland GmbH gegründet, es existieren zahlreiche weitere Niederlassungen weltweit.

Marke bedeutet Grenzmanagement – gerade im Erfolgsfall

Bei erfolgreichen Marken besteht häufig die Gefahr, dass sie für ihren eigenen Erfolg bestraft werden. Meist von ihrem eigenem Marken-Management. Denn eine Marke, die Erfolg hat, weckt nicht nur extern Begehrlichkeiten – im Unternehmen selbst lauert dann meist eine große Gefahr. Denn auch hier weckt die Marke Begehrlichkeiten. Der Tenor: Wenn wir mit Produkt X so erfolgreich sind, dann müssten wir das doch jetzt unbedingt ausnutzen und ein Produkt Y lancieren… Dann kommt meist ein Produkt Z usw. Der Super-GAU ist, wenn parallel an der Qualitätsschraube gedreht wird, um Kosten zu senken. Der Tenor: Das sieht doch unserer Kunde gar nicht. In dieser Richtung gab es einige alarmierende mediale Meldungen, u.a. dass die Firma Weber ihre Produktion aus den USA nach China verlagert. Die Eigentümerfamilie verkaufte ihre Anteile im Jahre 2010, auch dies tendenziell Geschehnisse, die das Vertrauen in eine Marke belasten können.

Gute Gründe, sich die aktuelle Qualität und das Geschehen einmal im Vergleich mit Konkurrenten aus unterschiedlichen Preis- und Qualitätsligen genauer anzuschauen. Hat der Weber-Nimbus Bestand? Verteidigt der Grill-Hirsch seinen Platz am Feuer?

Der WDR Markt wollte dem Grill-Markenphänomen dezidiert in einer XL-Sommer-Ausgabe nachgehen: Der Weber Grill-Check ist hier nachzusehen. Markensoziologe Arnd Zschiesche vom Büro für Markenentwicklung beleuchtet im Filmverlauf einige der Hintergründe des Marken-Erfolges.

Der Experte raucht nicht. Er brennt auch nicht – es ist nur der Grill.

Markenexperte Dr. Arnd Zschiesche als Interviewpartner und Keynotespeaker

Keynote von Arnd Zschiesche auf der AIDA Nova.

Der aktuelle Imagetrailer von Arnd Zschiesche, Gründer und Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung Hamburg:

Marke von A bis Z: Dr. phil. Arnd Zschiesche ist Mit-Gründer und seit dreizehn Jahren Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung in Hamburg. Seit 2006 wurden dort 63 Marken wissenschaftlich analysiert und strategisch-operative Empfehlungen für über 120 Marken ausgesprochen: Von kleinen Start-Ups bis zu renommierten internationalen Marken, von der regionalen Baumschule über Sozialträger und Städte/Ortschaften bis zu staatlichen Institutionen oder familiengeführten „Global Playern” aus dem Mittelstand. 

Der Autor von vierzehn Sach- und Fachbüchern zur Markenführung ist kontinuierlich in den deutschsprachigen Medien als Interviewpartner vertreten (u.a. seit 2011 Experte beim ARD Markencheck, Plusminus, WDR, NDR, SWR) und wird häufig als Deutschlands Markenexperte Nummer eins bezeichnet. In Keynotes und Vorträgen kämpft er für den sachlich-objektiven Umgang mit dem Wertschöpfungsfaktor Marke und gegen die sinnlos-markenzerstörerische Verschwendung von Werbebudgets für sog. „Image-Werbung“, „Awareness-Kampagnen“ oder „Influencer“. Ein Forschungsschwerpunkt von ihm ist die Relevanz positiver Vorurteile über Deutschland – das “Made in Germany” – für den Wirtschaftsstandort bzw. die Folgen des konsequenten Abbaus dieser Vorurteile für die gesamte deutsche Industrie.

Seit 2011 ist Arnd Zschiesche Dozent für Brand Management und Markensoziologie an der Hochschule Luzern Wirtschaft und hält regelmäßig Vorlesungen an der Universität Hamburg. Für eine von ihm mitgegründete europäische Eco-Design-Marke erhielt er mehrere Preise.

http://www.arndzschiesche.de
www.buero-fuer-markenentwicklung.com
Email: az@buero-fuer-markenentwicklung.com
Tel.: 0049 40 67 95 29 84
Arnd Zschiesche im SWR Marktcheck