“Danke Penny, Ihr schafft es mich immer wieder zum Weinen zu bringen.” “Besser hätte man die Welt in 3 Minuten nicht auf den Punkt bringen können.” “Die KollegInnen von Penny haben sich wieder mal was getraut. Nochmals ein filmisches Meisterwerk von Serviceplan… auf die Straße gebracht.” “5 Gründe, warum der Penny-Spot ein herausragendes Stück Werbung ist.” (horizont)
Nur einige verkürzte Kommentare zum aktuellen Penny-Spot bzw. Penny-Weihnachtsfilm “Der Riss”. Ob es sich um ein filmisches Kunstwerk handelt, müssen andere bewerten. Dass es sich hierbei um Werbung handelt, ist jedoch auszuschließen. Es sei denn, “wir” wollen Werbung als eine gesellschaftskritische Kunstform empfinden und behandeln. Wer diesen Weg nicht mitgeht, steht vollkommen fassungslos da: Wie weit kann sich die Markenführung von der Wertschöpfungskette des eigenen Unternehmens entfernen? Wie weit weg von der Alltagsrealität “unserer” Kundschaft wollen wir stehen? An der Stelle setzen Penny et al. tatsächlich neue Maßstäbe. Jedes Jahr ab November startet die große Weihnachtsshow als Wettrennen um Aufmerksamkeit bzw. marketingdeutsch Awareness. Die große Frage lautet: Wer hat den emotionalsten?
Stellt sich die verantwortliche Penny-Branding-Unit vor der Ausstrahlung vor die Penny-VerkäuferInnen und erklärt ihnen: “Sorry, Gehälter können wir euch nicht erhöhen, schwierige Zeiten gerade, aber dafür haben wir einen außerordentlich gesellschaftskritischen Spot gedreht, über den in den Medien diskutiert wird?” (weniger in der Kundschaft) Ein vermutlich teurer Spot, der aber gar nicht dazu gedacht ist, mehr Käufer in einen Penny-Markt zu bewegen… Ist das tatsächlich der “Purpose” von Penny? Anders herum gefragt: Darf Werbung noch werben? Niemand stellt bei solchen Spots noch die Frage: Wurde in den Tagen nach Erstausstrahlung auch nur ein Produkt mehr in den Läden verkauft?
wer will denn werben?
Verschämt läßt Penny seine rot-gelben Signalfarben, sein vollständiges Logo nicht einmal auftauchen zum Ende des Spots. Es wirkt als wolle man für nichts werben, es geht der Marke (vermutlich) um “Emotions”, um Aufmerksamkeit für die “richtige” und wichtige gesellschaftliche Sache(n). Emotionen und “Anzahl der Aufrufe” bei youtube scheinen die aktuelle Werbe-Währung darzustellen. Apropos: Lebensmittel günstig zu verkaufen ist eine “richtige” Sache, evtl. sogar eine richtig gute Sache.
“Als die Welt ihren Sinn verlor, entdeckte die Werbung ihre Heilsbotschaft” formulierte der Publizist Roger Willemsen einst: Inzwischen ist es völlig normal geworden, dass uns jedes Jahr zu Weihnachten (Konzern-)Werbung die Welt erklärt, ein meist dramatisch-instrumentiertes Brennglas auf dunkelste und traurigste Ecken unserer Zeit wirft. Dieser Vorgang hat seltsame soziale Folgen: Menschen, die sich von der Politik nie bevormunden lassen würden, lassen sich von großen Unternehmen gerne die Welt erklären, schreiben nicht nur in den sozialen Medien sondern auch in den Feuilletons darüber. Wie konnte es soweit kommen?
Zu gast bei den “markenrittern”
Dieser Frage gehen Prof. Dr. Oliver Errichiello und Prof. Dr. Arnd Zschiesche in ihrem neuen Vortrag “Purpose Marketing – Profitshaming und Weltrettung? Oder: Werbung für Niemand” analytisch-historisch auf den Grund. An einzigartiger Stelle, im Rahmen der “Tafelrunde der Marke” in Luzern haben wir den Vortag erstmals in der Schweiz gehalten. Danke für die Einladung sagt das Büro für Markenentwicklung den Marken-Rittern Reto Buchli, Peter Weber, Edgar Faller und von der Hochschule Luzern Wirtschaft (HSLU) Fabienne Wyss und Dr. André Briw für dieses Podium im Hotel Schlüssel November 2022. Mehr Infos: Tafelrunde der Marke.
Warum ordnen starke Marken Märkte zu Kundschaften, und zwar Jahrhunderte hindurch? Weil Marken Bündnisse sind, freiwillige Bündnisse und auch deshalb von Dauer. Was veranlasst den einzelnen Menschen, solchen Ordnungsrufen zu folgen? Weil er sich in solchen Wirtschaftskörpern seinen Wunsch nach Ungleichheit erfüllen kann. Und schließlich: Welche Bedingungen muss ein Unternehmen schaffen, um solche ungleichen Ordnungssysteme ökonomisch erfolgreich werden zu lassen? Indem es unverwechselbare Stilsysteme aufbaut. Drei Fragen, drei Antworten. Eine Einführung in die Markensoziologie.
I. Die Marke als Bündnis
Markensoziologie beschreibt die Fähigkeit, Marken als Wettbewerbswaffe profitabel und wertsichernd zu führen. Diese wertsichernde Profitabilität entsteht durch ein besonderes Verhältnis der förderlichen Zuneigung aller Menschen innerhalb des Wirtschaftskörpers einer Marke. Profit lässt sich auch kurzfristig, durch einmalige Verkaufshandlungen hervorrufen, aber Werte werden dadurch kaum gebildet. Es entsteht kein Dauergeschäft, d. h. keine kostenentlastende Wiederholung.
Eine markensoziologische Strategie sichert die Fähigkeit, langfristige Bündnisse herzustellen: Bündnisse zwischen Menschen, zwischen Menschen und Waren, zwischen Menschen und Waren und Preisen und Verkaufsarten und zahlreichen weiteren Komponenten. Die für das Tagesgeschäft zubereitete Strategie der Bündnisoptimierung machen die soziologischen Hintergründe deutlich, denn Soziologie ist die Lehre von den Bündnissen. Für den Markensoziologen ist der Markt ein Bündnisgefüge. Der Markenverantwortliche ist ein Bündnisbilder.
Ein Bündnis muss gewollt werden, sonst ist es nicht. Deshalb ist ein Bündnis immer so dauerhaft, wie der Wille der Menschen, die es wollen. Es gibt langfristige, unausweichliche Bündnisse – das Verhältnis zu unseren Eltern – und von uns selber zu steuernde und bewusst hervorgebrachte: mein Bündnis mit einem Börsenpapier. Das eine ist ein Bündnis meines ganzen Wesens, ein Bündnis, in dem ich als ganzer Mensch stehe, schicksalhaft. Das andere habe ich selber herbeigeführt, als Experte, es unterliegt meiner Entscheidung. Das eine ist Pflicht, das andere Kür. Dieser Unterschied macht die Unterscheidung zwischen dem dauerhaften Markenbündnis und dem flüchtigen Produktkontakt erkennbar.
Wir leben diesen Unterschied bereits in den Gemeinschaften unserer Heimat und den Gesellschaften unserer juristisch herbeigeführten Vereinigungen. Der Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft ist keine terminologische Finesse, er beschreibt vielmehr zwei unterschiedliche Bündnisarten. Gemeinschaften sind Kollektive, die durch Geschichte gewachsen sind, nur ganz allmählich sich wandeln und durch Sitten und Gewohnheiten die Seele jedes Menschen zutiefst prägen, von ihr Besitz ergreifen, wie wir zutreffend sagen. Unsere Sitten füttern uns, so dass wir Vor-Lieben in uns aufbauen. Eine Vorliebe ist noch stärker als eine Liebe. Vor allem ist sie dauerhafter. Der Wille der Sitte gilt und unserer eigener Wille erfüllt diesen „sozialen“ Willen gerne. Mehr noch: Der individuelle Wille wird durch den sozialen Willen angeregt und entfaltet.
So erwachsen durch den geteilten, ähnlich gerichteten Willen vieler Menschen bestimmte kulturelle Vorgänge und örtliche Rituale. Die Gewohnheiten unserer eigenen Kultur beispielsweise haben so von uns Besitz ergriffen, dass wir sie ununterbrochen ausstrahlen. Daher werden wir immer wenn wir in anderen Gewohnheiten bzw. Kulturen auftauchen, ob als Tourist oder Geschäftsreisender, sogleich als Ungleicher erkannt: An unserer Kleidung, unserem Auftreten, unserer Sprache und und und. Was für den Menschen gilt, gilt auch für die Dinge, die er produziert: Zu den unverzichtbaren Komponenten unserer bunten Waren-Kultur gehören die starken Marken. Globale Ikonen wie IKEA, Coca-Cola, Rolex, Mercedes, Armani sind immer auch Botschafter ihrer Heimatkulturen.
Der Gegensatz zu einem gesellschaftlichen Bündnis wird nun deutlich. Ich stelle es selber her, ich bin der Initiator, mein Wille entscheidet. Gesellschaften gehen auf Gründer zurück, sie sind zweckhafte Sozialkreationen, sie sind die ausorganisierten Einfälle unternehmerischer Einzelner. Das gesellschaftliche Kollektiv wird durch Gesetze geregelt. Ganz im Unterschied zur geschichtsgetränkten Sitte, die durch Überlieferung und Tradition weiterbesteht, gilt für die Gesellschaften das Recht als Steuerungsinstrument. Deshalb sprechen wir auch vom Gesellschaftsrecht bei Firmen. Eine Aktien-Gemeinschaft ist unvorstellbar.
Die Haltungen der Menschen innerhalb dieser beiden Kollektive zu Menschen und Dingen ist äußerst gegensätzlich. Während in einer Gemeinschaft alle individuell Getrennten letztlich verbunden sind, bleiben die nur rechtlich Verbundenen einer Gesellschaft letztlich eher getrennt. Vertragsverhältnisse kann man kündigen, Blutsbande jedoch nicht. Deshalb leben Gemeinschaften vor allem durch ihre geteilte Vergangenheit, Gesellschaften jedoch von ihrer Zukunft. In dem einen Bündniszusammenhang sind wir der Bauer, im anderen der Schmied. Der Bauer lebt im Gegebenen, wartet im Sich-Wiederholenden, führt es rückkoppelnd fort. Der Schmied dagegen schmiedet das Neue, gemäß seinem Genius, ein Ingenieur.
Beide Bündnisformen regeln auch unseren Umgang mit der Ware: als Marke und Produkt. Zum Produkt haben wir ein gesellschaftliches Verhältnis. Wir sind die hellwach Prüfenden, wir sind urteilende homines oeconomici, testen bei jeder Nutzung Qualität, Service und Preis. Wir sind das Subjekt, der Souverän, der Entscheider. Bei der Marke ist es genau entgegengesetzt. Sie ist Kraft einer Wertschöpfungsgemeinschaft. Über Jahre hindurch hat sich gute Erfahrung mit allen Lebensäußerungen des Unternehmens in einer Kundschaft kumuliert. Die Prüfnervosität des Käufers hat sich gelegt, öffentliches Vertrauen hat sich gebildet, die Marke ist Subjekt geworden, wir das Objekt.
Eine Neigungsbereitschaft zu einer Marke hat uns erfasst, wir haben ein positives Vorurteil der Firma gegenüber entwickelt. Die bewusste Unnachdenklichkeit gegenüber der Leistung hat sich in uns breit gemacht – Markenkraft ist entstanden.
II. Die Ungleichheit als Grundlage
Lebendiges ist immer einmalig – und daher ungleich. Es gibt keine zwei identischen Blätter an einer Eiche, nicht zwei gleiche Katzen, keine zwei identischen Stimmen, keine zwei identischen Wolken. Die kompositorische Kraft des Universums realisiert sich in immer einmaliger Gestalt.
Der Wirtschaftskörper einer Wertschöpfungs-Gemeinschaft, der Wirtschaftskörper einer Marke ist in eben diesem Sinne das Ergebnis eines solchen Willens zur eigenen Komposition. Der Wille zur eigenen Komposition führt zu immer mehr Ungleichheit. Deshalb gibt es zwar überall die Gewohnheit zu schlafen, zu essen, sich zu schminken und die Freizeit zu verbringen, die Kinder zu erziehen und die Toten zu ehren. Aber sie unterscheiden sich alle: Sie sind immer von ganz anderer Gestalt. Ein katholischer Gottesdienst ist nicht der eines Moslems, der Stephansdom ist nicht der Hamburger Michel, die Chansons der Juliette Greco nicht die Songs von Coldplay.
So ist Ferrari nicht TESLA und die Wranglers keine Levi’s. Die Marken regeln Details immer irgendwie so, dass man sie sogleich als von dort und nicht von hier, also so geartet und eben nicht austauschbar erkennt. Gewohnheiten lenken die Menschen, aber jede einzelne ist anders gestaltet. Die Freude an der Ungleichheit wird zum Willen zur Ungleichheit. Am Gestalthaften erkennen sich die Menschen als ähnlich und als fremd, als Freunde oder Feinde. Und also betonen sie ihre Ungleichheit. Jeder hat das Recht zur Ungleichheit. Hier zeigt sich das Dramatischste an jedem Bündnis – seine gestalthafte Individualität. Die Muster binden uns zusammen und grenzen uns ab. Alles ist ungleich. Und eben diese Gegensätze sind das Leben. So gleich die Funktionen der Sitten sind – so ungleich ist ihre jeweilige Gestalt.
Dieser Wille zur Ungleichheit ist für den Markenführer der wichtigste Sachverhalt überhaupt. Das Produkt in seiner mengenartigen Austauschbarkeit veranschaulicht die Gleichheit, denn jedes Produkt einer Serie gleicht dem anderen und auch untereinander gleichen sie sich an. Es ist die Funktionalität, die die Produkte auswechselbar macht. Der Wert, der die geringste Windschlüpfrigkeit garantiert würde es erzwingen, dass alle Autos gleich aussehen. Allein die Marke als Gestalt muss mit Erfindungskunst und Einfallsreichtum alles das herausarbeiten, was zur Besonderheit taugt und es zur eigenen Gestalt bündeln. Die Unverwechselbarkeit im Detail wird dann zum einmaligen Gewohnheitsraum, der Bündnisraum Marke zur besonderen Komposition.
Der Wunsch der Menschen nach Ungleichheit ist der anthropologische Motor, der die Suche nach der Markenleistung im Markt antreibt. Der Wille zur eigenen Gestalt der Marke muss daher den Markenverantwortlichen im Tagesgeschäft lenken. Während die erste Regelung sein muss: Schaffe Markenräume als Gewohnheitsräume, präzisiert der zweite Aspekt: Schaffe sie als individuelle Gestalträume: Wie aber sollen sie ausgestaltet werden? Wie wird ihre Ordnungskraft erhalten?
III. (Marken-) Führung durch Stilbewusstsein
Das wichtige Führungsmittel im Markt ist es, unterschiedliche Stilsysteme herauszubilden. Führung durch Stil heißt: Führung durch Details. Wenn der Polizeipräsident von New York seine Stadt wieder sicherer gemacht hat, so hat er das durch stilistische Strenge erreicht. Wer seine Bierdose wegwirft, wird bestraft, wer zu schnell fährt, aus seinem Auto gezerrt und wie ein Schwerverbrecher behandelt.
Das Prinzip der Führung durch Stil lautet: Null Toleranz bei Gestaltfragen. Die Römer nannten das : principia obstate – Wehret den Anfängen! Die amerikanischen Kommunalpolitiker nennen es „the theory of broken windows“. Lass nicht die geringste Beschädigung zu, denn wenn du in einer Straße eine zerbrochene Scheibe erlaubst, sind es in der nächsten Woche schon zwei, dann fünf und ein halbes Jahr danach kannst du nicht mehr heil durch den Stadtteil gehen. Das Prinzip, welches hier angewandt wird, ist ein typisch markensoziologisches: Achte auf deine Gestaltdichte! Halte deine Gestalt diszipliniert, dann wirst du Anhänglichkeit schaffen. Government by style ist Gestalt-Engineering.
So wie Baustile uns fesseln oder ein Musikstil uns lange Jahre oder über Generationen bindet, so auch der Stil einer Marke. Ein weitverbreiteter Irrtum besteht darin, zu meinen, die Menschen ließen sich durch Argumente beeindrucken oder gar auf Dauer führen. Diese Illusion aufklärerischer Rationalität zeigt sich auch in der Markenbindung. Argumente sind wichtig, aber auf Dauer nicht tragfähig. Wir suchen ein Bett und ein Hotel – sicher. Aber dann fängt es an: welches Hotel? Wir brauchen ein Auto und jedes hat gute Argumente für sich. Aber eben deshalb ist die Beziehung flüchtig – sie hält so lange, bis ein besseres Argument auftaucht. Treue entsteht so nicht.
Ein anderer Sachverhalt ist der eigentlich steuernde: die Gestalt. Damit ist nicht Design gemeint, sondern Stimmigkeit. Stimmigkeit der Erfahrung. Der Mensch ist ununterbrochen tätig, Gestalturteile über Stimmigkeiten hervorzubringen. Das passt zusammen, dies nicht, dies war früher aufeinander abgestimmt, ist jetzt auseinandergerissen. Mergers&Acquisitions liefert ständig Beispiele solcher Un-Stimmigkeiten. Diese Urteilskraft ist nicht argumentativ. Sie ist aber auch nicht das, was irrtümlich immer als emotional bezeichnet wird. Ein Gestalturteil ist zwar in der Regel rasch gefällt, aber immer ist der Geist des Urteilenden unaufhebbar beteiligt. Stil ist Magnetismus der Gestalt. Niemand sieht ihn und doch ordnet er alles.
Führen durch Stil ist wichtig im Überlebenskampf. So wie sich die Einzelelemente der verschiedenen Gestalten, der Kundschaften am Stil erkennen, und sei es nur am Tonfall einer Stimme oder an der Art, eine Naht zu nähen, so entscheidet auch im Kampf um die Gestaltsicherung vor allem der Stil. In Bezug auf eine Leistung stilvoll zu handeln heißt daher: auf alle Details achten und diese so verwirklichen, dass die gewollte Besonderheit stimmig realisiert wird. Stilkontrolle ist daher das allerwichtigste. Ein Vorstandsvorsitzender kann sich nicht um die einzelnen Arbeitsvorgänge im Unternehmen kümmern. Seine Arbeit besteht darin, die stilistische Oberfläche der Marke gestaltdicht zu halten. Der Markenverantwortliche ist daher ein Sozialstilist.
Durch die Wiederholungen der Details zeigt die Sitte ihre Kraft. Sitten sind Stilkompositionen aus Hunderten von Einzelvorgängen – Bewegungen, Klängen, Gerüchen. Gemeinschaften werden energetisch immer wieder aufgeladen durch die Details eines Brauchs: die Gesten des Priesters, das Kleid der Braut, die Musik der Band und der Duft der Speisen – alles unverwechselbar und hunderttausendfach wiederholt – dann stimmt die Welt und wir fühlen uns wohl, es ist gewohnt, die Gewohnheit als Wohnzimmer der Seele. Es ist nun völlig klar: Hier hinein gehören die Marken
Zwei grundlegende Prinzipien zur Gestaltführung
Erstens muss die Markengestalt selber ihre Gestaltstrenge beibehalten. Wenn auf ihrer Außenhaut alle Details so stimmig zueinander gehalten worden sind, dass im Publikum immer wieder der Eindruck von einem “Ding” entsteht – einem zusammenhängenden, nicht einem zusammengesetzten. Stilstrenge kostet nicht viel Geld, aber viel Aufmerksamkeit und Sinn für Details. Denn je strenger hier die Gestalt geführt wird, desto mehr ermöglicht sie es, Eigenbewusstsein zu erzeugen. Bewusstsein der eigenen Gestaltbesonderheit. Das aber verursacht Stolz. Und wenn erst einmal Stolz in der Kundschaft entfacht ist, beginnt die Markentreue.
Und zweitens: Der Stil muss leistungsernst sein, um dauerhaft zu wirken. Nur dann löst er Eigenenergie im umliegenden Menschenfeld aus. Nur dann zündet er im Publikum den Willen, diese Stilstrenge selbsttätig weiterzuverbreiten.
Das geschieht im Markt durch Qualität. Qualität im weitesten Sinne, Ernsthaftigkeit des hergestellten Gutes und der Art seines Verkaufs: Leistungsernst. Leistungsernst ist die Durchsichtigkeit aller kaufmännischen Vorgänge – im Produkt ebenso wie im Vertrieb, im Konditionensystem ebenso wie in der Preispolitik. Der Leistungsernst ist die Grundlage für das Begründbare im öffentlichen Vertrauen, welches einen Markenkörper charakterisiert. Der reine Nutzen ist treulos. Erst als Stil produziert Nutzen Anhänglichkeit.
Damit hat der Kaufmann auch den dritten Teil seines Werkes in der Hand: nach dem Aufbau eines Markenkörpers und dessen individueller Herausstellung folgt die Sicherung dieses Systems durch hartnäckige Stilstrenge im Tagesgeschäft. Marke ist stilistisch organisierter Leistungsernst.
Unter dem Begriff „Grün“ scheint heute ein Vielerlei unterschiedlicher Vorstellungen zu existieren. Die Farbe steht diffus für: Gut zur Umwelt, zu den Pflanzen und Tieren. Und: Darauf bedacht, die Umwelt möglichst wenig zu belasten. Was genau das impliziert, bleibt strittig. Sicher, auch große Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten „grüne Markenpolitik“ betrieben und maßgeblich zur verstärkten Durchsetzung umwelt- und menschenfreundlicher Technologien und Herstellungsmethoden beigetragen. Und doch offenbart eine zuvor unternommene Zusammenstellung äußerst unterschiedlicher „grüner“ Firmen die große Spannbreite nachhaltiger Markenpolitik. Das Problem: Wenn heute mit grün, ökologisch oder nachhaltig so viel Verschiedenes ausgedrückt wird, dann resultiert daraus im Effekt eben kein klares öffentliches Bild und keine eindeutige kollektive Vorstellung über den Sachverhalt Grün. Dies ist umso erstaunlicher, weil grünes Gedankengut inzwischen in der gern herbeizitierten „Mitte der Gesellschaft“ angekommen ist und zum „guten Ton“ gehört. Oftmals bleibt es langfristig auch nur beim „guten Ton“, oder wie es ein Geschäftsführer in einer Klausurtagung formulierte: „Je dicker der Nachhaltigkeitsbericht, desto mehr Dreck dahinter …“. Klar ist: Nachhaltigkeitsberichte sind immer Legitimationsschriften. Die Geschäftsführerin eines Milliardenunternehmens formulierte es einmal so: „Umweltschutz ist heute ein Hygienefaktor …“. Grüne Markenführung als Unternehmensstrategie, als ein selbstverständlicher Bestandteil der Markenführung ist etwas anderes…
Exakt die eben beschriebene Vielschichtigkeit der Vorstellungen ist Fluch und Segen zugleich. Zum einen führt die hohe Bandbreite der Vorstellungen über eine grüne Welt dazu, dass Unternehmen diesbezüglich nicht mehr tun können, was sie wollen. Die umweltgesetzlichen Regelungen der letzten 30 Jahre lassen heutzutage zumindest in Europa offiziell kaum noch Schlupflöcher für umweltschädliches Verhalten. Es ist zu einem feststellbaren institutionalisierten Kulturwandel gekommen. Umweltwirkungen sind eben nicht mehr Privat- oder Unternehmenssache, sondern müssen sich heute auch mit den sensibel geschärften Vorstellungen der Kundschaften und der Öffentlichkeit auseinandersetzen – manchmal sogar mit ungerechtfertigten Öko-Hysterien: Selbst einige der von den Medien als bösartig identifizierten Unternehmen können dem Beobachter bei einer ausufernden „Empörungswelle“ tatsächlich leidtun. Psychologisch ist dies nur noch mit einer kollektiven Verschiebung eines individuellen schlechten Gewissens an einen externen Akteur zu erklären.
Wir sind jetzt alle ein bisschen grün – weil es so “schön” gefragt ist.
Zudem macht die individuelle Bandbreite innerhalb der Vorstellungen deutlich, dass aktuell nahezu jeder von sich behaupten kann, er betreibe ein „grünes Unternehmen“. Vielleicht schon deshalb, weil es täglich Biogemüse in der Betriebskantine gibt. Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte hat offenbart, wie sehr „grüne Gedanken“ genutzt werden, um Marktvorteile zu erringen – ohne aber tatsächlich „grün“ zu agieren. In seinem kurz vor Offenlegung des Skandals erschienenen Nachhaltigkeitsbericht, schrieb VW als Zielsetzung, bis 2018 der nachhaltigste Automobilhersteller der Welt werden zu wollen. Mit der Konsequenz, das innerhalb von Generationen mühsam erarbeitete Markenvertrauen verantwortungslos aufs Spiel zu setzen. Bei asiatischen Zulieferern von europäischen Unternehmen ist es Mode, sich ein „Eco“ vor den Namen zu schreiben, das Logo grün zu färben oder zumindest ein possierliches Tierchen in die werbliche Gestaltung zu integrieren. Es ist ihnen bekannt: Das mag der europäische Einkäufer. Was man in Europa als „Greenwashing“ bezeichnet, wissen findige asiatische Unternehmer sehr gut auf ihre eigene umsatzfördernde Weise umzusetzen. Kurzum: Grün steht heute für alles und ist somit eine Nullaussage.
Da darf lautes Lachen erlaubt sein, wenn McDonald’s urplötzlich sein seit 1968 rot unterlegtes M-Logo auf grün umschaltet. Auf den Plastiktüten der Firma Tengelmann steht plötzlich „I’m green“, H&M-Manager „produzieren“ mit Selbstverständlichkeit Stanzsätze wie „Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern das Wesen von H&M“ und bieten begleitend dazu ihre in Bezug auf PR perfekt ausgeschlachtete „Conscious Exclusive Collection“ in 150 der 3500 H&M-Filialen an … ein Tröpfchen grün. Ähnliches unternimmt der öffentlich stark ob seiner „Nachhaltigkeits- und Sozialpolitik“ gebeutelte Konzern KiK: Neben Nachhaltigkeits- und Sustainability-Berichten wird ohne Ironie auf den CO2-neutralen Versand der Firmenpost hingewiesen. Auch die Umrüstung von 50 Filialen in sogenannte „Green Buildings“ (von insgesamt 3200 Filialen) soll öffentlichkeitswirksam verdeutlichen, dass die Marke einen massiven Veränderungsprozess einleitet. Gerne mag man diese Form der Argumentation als dubiose Spitzfindigkeiten abtun, aber die Diskussion um genverändertes Saatgut macht die Zielkonflikte deutlich: Ist es „grün“, wenn genverändertes Saatgut resistenter gegenüber Krankheiten wird, was zu einer Reduktion von beispielsweise Fungiziden in der Landwirtschaft führen würde?
Grünes Wunschkonzert?
Vermeintlich klar ist unter dem Label „grün“ demnach nur sehr wenig klar. Und jenes, was scheinbar klar ist, unterliegt einem beeindruckenden Vergessensdruck. Der Soziologe Joachim Radkau macht darauf aufmerksam: „Die Geschichte der Öko-Ära ist nicht nur die Geschichte einer neuen Aufklärung, nicht nur eine Wissens-, sondern auch eine Vergessensgeschichte. Viele Namen, die einst die Zukunft zu verkörpern schienen, sind heute selbst innerhalb der Öko-Szene unbekannt; zahllose Bücher, die für kurze Zeit die Menschen bewegten, sind längst im Ramsch gelandet“ (Radkau 2011, S. 614).
Geldverdienen als grünes Problem
Das gesellschaftliche Spannungsfeld scheint eigentlich geklärt und ist Teil jeder ministerialen Sonntagsrede: Ökonomie und Ökologie müssen und dürfen sich in Zeiten spürbarer Umweltschädigungen nicht ausschließen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit und doch sind gerade bei umweltbewegten Menschen immer noch Vorbehalte spürbar, sofern ein Unternehmen wirtschaftlich prosperiert, dabei aber gleichzeitig grüne Aktivitäten offensiv an die Öffentlichkeit kommuniziert. Diese Erfahrung macht auch Stefan Schulze-Hausmann. In einem Beitrag führt der Vorsitzende der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis aus: “Wer mit Nachhaltigkeit Geld verdient, ist manchem Vertreter der reinen Lehre suspekt. Wer mit Nachhaltigkeit richtig viel Geld verdient, ist außerdem noch all jenen ein Dorn im Auge, die das auch wollen, aber nicht so schnell oder so gut sind. Die Unternehmen, denen Nachhaltigkeitsthemen gar nicht oder nur bedingt wichtig sind, haben keinerlei Interesse, Leistungen anzuerkennen, die sie selbst rückständig erscheinen lassen. Und dann sind da noch die Ressentiments der aktiven Kleinen gegen die aktiven Großen, die keinerlei Wertschätzung für deren – im Verhältnis zur Größe vermeintlich überschaubares Engagement – aufbringen können. Die Großen wiederum ignorieren die ‚minimalen‘ Schritte der Kleinen” (Schulze-Hausmann 2013, S. 46).
Grünes Vertrauen
Eine wissenschaftlich fundierte Beschäftigung mit dem Thema „Grüne Markenführung“ steht vor der Herausforderung, die eigentlichen sozialen Zusammenhänge herauszuarbeiten, die aus einer Ware oder Dienstleistung nicht nur eine Marke, sondern in diesem besonderen Falle eine grüne Marke machen. Grüne Marken sind eben nicht Ergebnis eines bestimmten grafischen Erscheinungsbildes, einer CI (Corporate Identity) oder Werbung (Nur Werber interessieren sich für Werbung). Sie entspringen nicht einer behutsam formulierten und demokratisch entwickelten Unternehmensphilosophie (interessiert niemanden, nicht einmal die relevante Kundschaft) oder einer durchdachten Kommunikationsstrategie. Sie sind Ergebnis eines sozialen Prozesses, der am Ende sicherstellt, dass Menschen kollektives Vertrauen zu einem bestimmten Namen entwickeln. Dazu muss klargestellt werden, was Menschen bewegt, einem Angebot langfristig oder gar „blind“ ihr Vertrauen zu schenken. In aller Deutlichkeit: Vertrauen entsteht in Warenmärkten nicht „irgendwie“ und nicht über die Verdeutlichung von „Vertrauen“ im Sinne schöner Bilder. Vertrauen ist ein normativer Verpflichtungszusammenhang: Es entsteht nur, wenn ein Unternehmen zusageverlässlich handelt und die prognostizierten Leistungen immer wieder konsequent einlöst. So simpel, so schwer.