Seinen Ursprung nahm der Hype um Heino mit seinem 2013 erschienenen Album “Mit freundlichen Grüßen”. Was ihm bis dato in seiner über 50-jährigen Musikerkarriere nicht gelungen war, geschah mit rockigen Coversongs: Platz 1 der deutschen Charts. Heino und sein Management (vielleicht auch eine gute Markenberatung) hatten genial eine markensoziologische Strategie angewandt: Nichts fasziniert Menschen mehr als Wunder. Und es war ein Wunder, dass ein “Volksmusiker”, der mit Altenheim, Kaffeeklatsch und Häkeldeckchen in Verbindung gebracht wurde, nunmehr Rammstein und die Toten Hosen – durchaus eingängig – interpretierte. Die Markensoziologie bezeichnet in der Markenführung solche Zusammenhänge als Wunderstrukturen: An einem Punkt werden Gegensätze vereint. Die Kulturgeschichte ist angefüllt damit: Eine Jungfrau, die ein Kind bekommt. Eine Tiergestalt mit Menschenkopf oder – etwas profaner – ein Schuh mit Löchern (Geox). Wunder haben schon immer Menschen fasziniert, weil sie Gegebenheiten “auf den Kopf” stellen und aus dem Einerlei herausstechen. Um zu funktionieren, um zu begeistern, dürfen sie allerdings nicht “Standard” werden, pure Normalität.
Nun Leben wir im Zeitalter eines möglichst reduzierten Risikos: Airbags, Reiserücktrittsversicherungen und Eheverträge sind Symptome einer bestimmten Geistes- und Lebensauffassung. Dies hat auch Auswirkungen auf die Arbeit von, ach so kreativen und freien Werbeschaffenden: Meist wird nur noch das erdacht, was sich irgendwie bewährt hat oder durch die Marktforschung herausgelesen werden kann. Keine Experimente! So ist auch nur folgerichtig, dass ein Werbetrend ist, bestimmte Prominente, vor allem Musiker, stilfremd einzusetzen. Das führt zu Irritation und Belustigung … kurzum Wunder zu produzieren. Wunder schaffen immer Aufmerksamkeit. Und plötzlich machen alle wieder das gleiche und gehorchen einem vollkommen austauschbaren Kreativitätstrend:
Der wunderbare H.P. Baxxter Scooter krakelt betörend im EDEKA herum:
Und Marianne und Michael machen jetzt Rap:
Die aufgezeigten Videoclips mögen unterhaltsam sein, aber markensoziologisch stellt sich die Frage: Was ist das Ziel? Geht es (wie immer an dieser Stelle im Meeting erzählt wird) um eine Imageveränderung, um das Ansprechen jüngerer Zielgruppen? Das ist das sicherlich ein hehrer Anspruch, geht aber daneben, denn die Aufmerksamkeit gilt eben nicht der Marke dahinter. Stattdessen werden – zugegeben – lustige Spots produziert, die hohe Klickraten produzieren (Stichwort: Attention Marketing), aber nichts, wirklich nichts mit dem Financier (also dem Unternehmen) zu haben. Die exemplarisch oben gezeigten Spots könnten auch von Rewe oder von Danone sein … hier wird sich angebiedert, damit man endlich jung und hip ist. Die entscheidende Frage von Werbung ist doch auch im Jahr 2015: Verkaufe ich durch meine Werbung am Ende mehr Produkte? Allein daran misst sich “erfolgreiche” Werbung. Dies gelingt nur, wenn ich in den hochkomplexen Märkten auf ein bestimmtes Vorvertrauen aufbauen kann. Man kennt mich für eine bestimmte Form der Leistung.
Von hohen Klickraten oder Kreativpreisen wurde bisher kein Mitarbeiter satt – außer die der Agenturen. Lustige Spots mögen uns unterhalten und uns begeistern, aber zum Schluss zählt, ob bestimmte typische Leistungsmerkmale des Unternehmens resonanzstark in Szene gesetzt wurden, um unser positives Vorurteil gegenüber der Marke zu stärken. Das kann man auch lustig machen, aber lustig oder überraschend allein – ohne seine “Markenhausaufgaben” gemacht zu haben – reicht leider nicht.